Am Mon, 31 Mar 2025 09:39:33 +0200 schrieb Thomas_Schlueter
Post by Thomas_SchlueterPost by Tomas GraserDie Grafik in obigem Artikel lese ich als faktischen Stillstand bei
Öffis und Fahrrad, und zwar *seit 2002* (im MID-Kurzbericht, den der
'Spiegel' verlinkt, ist sie nicht enthalten).
Das nährt den Verdacht, dass es sich, aller Wahrnehmung zum Trotz, bei
den massenhaft verkauften neuen Fahrrädern um wenig benutzte Spielzeuge
handelt.
Glaube ich niht, s.u.
Post by Tomas GraserAndrerseits weisen die Quartalssummen der 8 Fahrradzählstellen hier in
der Stadt einen Anstieg von fast 18% über die vergangenen 3 Jahre auf
1.Quartal 2022: 406.530
1.Quartal 2025: 482.820
Nahezu zeitgleich mit MiD rollen gerade auch die ersten Ergebnisse der
"Konkurrenz" von SrV ("System repräsentativer Verkehrsbefragung" AKA
"Mobilität in Städten" der TU Dresden) aus. Diese seit 1972 alle 5 Jahre
stattfindende Erhebung (bis 1990 nur in der DDR) weist im Vergleich zur
vorherigen Welle 2018 einen signifikanten Anstieg des Radverkehrsanteils
bei praktisch allen Städten aus, die bislang ihre Ergebnisse publik
gemacht haben. Im Mittel dürften das ~2-3 Prozentpunkte sein, so zB
München mit einem Sprung von 18 auf 21% Radanteil. Das ist um so
beeindruckender, als dass bei SrV das ausgesprochen
radverkehrsfreundliche Dürrejahr 2018 (und nicht 2017 wie bei MiD) als
Bezug dient, während die SrV2023-Erhebung in der extrem nassen Periode
<https://www.zdf.de/nachrichten/wissen/dauerregen-deutschland-klimawandel-100.html>
Der kräftige SrV-Anstieg deckt sich auch gut mit dem stabilen Trend, der
bei den immer zahlreicher werdenden Fahrrad-Pegelzählern auf der Straße
zu sehen ist. Außerdem ergab auch die (inzwischen eingestellte) dritte
große deutsche Mobilitätsuntersuchung (das "Mobilitätspanel" der
Bundesregierung) bei der letztmaligen Erhebung 2022 Radverkehrswerte,
die deutlich über dem aktuellen MiD-Ergebnis liegen. Ein weiterer
Hinweis auf einen stabilen Trend zu mehr Radverkehr ist die starke
Zunahme bei Alleinunfällen aller Schweregrade in der amtlichen
Unfallstatistik.
Immerhin, selbst mit den evtl. untererfassten Jahres-km von MiD liegt
Deutschland noch stabil vor Dänemark.
Das mag sein, vor allem, wenn Dänemark ähnlich zählt wie Deutschland.
Mir persönlich schmeckt die Fokussierung auf große Städte und deren
Zählstellen nicht. Auf die Gefahr hin, mich hier zu wiederholen,
folgendes.
Für die breite Masse der unerfahrenen Radfahrenden sind vornehmlich die
Kurzstrecken in großen Städten attraktiv, vorzugsweise in deren
Wohngebieten, Parks und Fußgängerzonen. Man kann sie leicht mit
Fahrradinfrastruktur einfangen und mit geeigneten Zählstellen an wenigen
Knotenpunkten zählen. Geeignet heißt hier: geeignet, in kurzer Zeit
große Zählerstände zu erzielen.
Für die langfristige Entscheidung für ein Verkehrsmittel sind aber nicht
die Kurzstrecken entscheiden, die jeder Depp und jedes Kind ab dem Alter
von sechs oder sieben Jahren fahren kann bzw. könnte, sondern die
Mittel- und Langstrecken, auf denen man weniger Radfahrer zählen wird
und noch weniger, wenn man es mit wenigen Zählstationen macht:, weil:
Kosten.
Auf meinen jahrzehntelangen Arbeitsweg von täglich 25 km wäre ich sogar
an einem der zwanzig Bonner Zählstellen vorbeigekommen, wenn es die
damals schon gegeben hätte, dies aber nur, weil ich auf meinem
Arbeitsweg von der einen auf die andere Rheinseite wechseln musste. Die
Zählstellen liegen i.W. entweder unten am Rheinufer oder an einer der
drei Brücken über den Rhein.
Obwohl in einem Stadtviertel wohnend, von aus ich bequem bis zum Rhein
spazieren kann, bin ich keiner einzigen meiner viele Fahrten seit
Rentenbeginn jemals an einer dieser Zählstellen vorbeigekommen. Dies
schließt sowohl Kurzstreckenfahrten mit dem Hollandrad ein, als auch
mittlere und lange Strecken auf Halbtages oder Tagstouren, die mich
durch das erweiterte Bonner Stadtgebiet, bis zu Nachbarstädten bzw.
Dörfern wie Remagen, Bornheim, Metternich, Euskirchen, Flerzheim,
Rheinbach, Bad Neuenahr-Ahrweiler, Effelsberg und Aremberg, um ein paar
zufällig rausgepickte zu nennen. Die Chance, in diesem ca. 40x40
km-Quadrat mit dem Fahrrad auf eine Radfahrer-Zählstelle zu treffen,
wenn man nicht gerade auf dem Rheinufer-Radweg oder einem der Radwege
der drei Bonner Brücken fährt, ist entweder Null oder nahezu Null.
Wie die Chancen sind, in einer auf eine einzelne Stadt zielenden
Erhebung erfasst zu werden, weiß ich nicht. Anhand des hier
<https://www.mystrobl.de/ws/pluspora/plainpostings/20240704t0710-miride_studie.html>
aufgeschriebenen Erlebnisses habe ich jedoch auch diesbezüglich gewisse
Zweifel.
Ein Zuwachs von wenigen Prozentpunkten, bei Stichproben, die sowohl an
einem Veröffentlichungs-Bias leiden als auch daran, von wem und wie
gemessen wird, ist m.E. zwar geeignet, gewisse Hoffnungen zu wecken -
mehr aber nicht. Angesichts des Umstandes, dass beim Neuerwerb von so
genannten Fahrrädern ein Umstieg vom Fahrrad auf das E-Bike zu
beobachten ist, könnte diese Hoffnung schnell zerstieben. Menschen, die
immer früher vom Kinder- oder Jugendfahrrad aufs E-Bike umsteigen,
Menschen, die mit dem Fahrrad oder vorzugsweise dem E-Bike die immer
schmaler werdende Lücke bis zum Auto mit 17 schließen wollen, sind keine
solide Basis für einen stabilen Trend zum Fahrrad.
Vielleicht sollten wir uns zumindest auch mit einer Quantifizierung der
mit dem Fahrrad gefahrenen Strecken auf der anderen Seite der Verteilung
beschäftigen. Das schlösse sowohl diejenigen ein, die leistungs- und
wettbewerbsorientiert Fahrrad fahren, als auch diejenigen, die
Langstrecken lediglich deswegen fahren, weil sie z.B. wie ich als
Rentner Zeit dafür und Spaß daran haben und den Aufbau bzw. inzwischen
Erhalt von Fitness als erfreulichen Nebeneffekt mitnehmen. Und natürlich
auch alle diejenigen, die das aus einer Mischung dieser und anderer
Gründe und in jedem Alter tun.
Langstrecken fahren auch andere mit dem Rad, die überwiegend jünger sind
und weniger Zeit haben, sie tun es aus Kostengründen, aus Wertschätzung
für die Umwelt, weil sie's können oder können wollen. Schon eine
Erhebung aller Gründe, warum und welche Menschen mehr als "maximal fünf
Kilometer"*) mit dem Fahrrad fahren, wäre ein interessantes
Forschungsprojekt. Ich würde mir davon zumindest eine Abkehr von der
stereotypen Fixierung auf junge Kraftprotze versprechen, die in vollem
Ornat Sport treiben, um Pokale zu gewinnen. Freilich ist das ein Motiv
(und Ansporn), aber gewiss nicht das einzige und vielleicht auch nicht
das häufigste oder wichtigste Motiv.
Eine einfache Fragestellung ist das gewiss nicht. Jedoch ist es eine,
die relevant wird, wenn man dem Trend entgegenwirken möchte, das
unmotorisierte Fahrrad auf ein Spielzeug, Sportgerät oder
Kurzstreckenverkehrsmittel zu reduzieren. Tatsächlich ist das Fahrrad
unter günstigen Umständen alles davon und - auch - ein
Langstreckenverkehrsmittel. Welches die förderlichen Umstände für all
dies und insb. für Letzteres sind, das wäre herauszufinden.
*)
<https://www.mystrobl.de/ws/pluspora/plainpostings/20220202t1208-zwei_bis_maximal_fünf_kilometer_mit_dem_fahrrad_echt_jetzt.html>
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