Post by Frank Bechhaus... Ich himmle Armstrong nicht unbedingt an,
aber man muß einfach seine Leistung respektieren.
ACK. Es geht nicht darum, ob die Fahrer besonders sympathisch sind,
mir jedenfalls nicht. Mich beeindrucken Diziplin, unbedingter Einsatz-
willen, gezeigte Leistungen. Und ich sehe es "ganz sportlich" so, daß der
Beste gewinnen soll. Auch wenn er im Privatleben ein Ekel sein sollte.
Da bin ich völlig anders veranlagt. Auch ich kann natürlich einer
einzigartigen Leistung Respekt entgegenbringen, aber das war's dann auch
schon. Ich tue mir sehr schwer damit, einen Menschen in einzelne
Bestandteile aufzuspalten, da beginnt für mich bereits die Shizophrenie.
Ich teile auch mein Leben nicht in Ernst und Spaß, Arbeit und Freizeit,
Dienst und Schnaps ein, im Gegenteil, bei allem was ich tue, versuche
ich ein Mensch zu sein und meiner inneren Stimme zu gehorchen.
Ich will Armstrong oder andere Ausnahmeathleten hier nicht niedermachen,
sondern nur darauf hinweisen, dass für mich ein Denken in Formeln wie
"Sieg oder Niederlage" oder eine Fixierung auf wie auch immer geartete
pure "Leistung" keinen Sinn macht. Oft kann ein Sieg auch eine
Niederlage sein und umgekehrt, das Leben ist nicht immer so einfach wie
wir es gerne hätten.
Post by Frank BechhausAn Armstrong beeindruckt mich, daß er an seiner Krebsdiagnose nicht
resigniert ist. Wer schon mal der Möglichkeit ins Auge geblickt hat,
nicht mehr allzulange zu leben, hat vielleicht eine stärkere Ausrichtung,
will seine Ziele unbedingter erreichen. Ich glaube, daß man nicht
durch eine solche harte Erfahrung gehen kann, ohne daß es Spuren in der
Persönlichkeit hinterläßt.
Sollte man glauben, aber Armstrong scheint mir dafür kein besonders
gutes Beispiel zu sein, Bei ihm habe ich eher den Eindruck, dass er nach
dieser Erfahrung verstärkt so weitergemacht hat wie bisher: analytisch,
planvoll und akribisch auf den angepeilten "Erfolg" zusteuern, ohne nach
links und rechts zu blicken.
Natürlich kann ich mich täuschen, ich kenne ihn ja nicht, und vielleicht
stellen seine angebliche Arroganz, Kaltschnäuzigkeit und Egozentrik nur
die Schutzmechanismen einer sehr sensiblen und verwundbaren Seele dar.
Ich selbst war ja auch schon mal fast über den Jordan und bei mir hat
diese Erfahrung in der Tat mein Leben grundlegend verändert. Ein Streben
nach vordergründigem Erfolg, nach Ruhm oder Geld, halte ich für abwegig
und eine Sackgasse. Nota bene: ich spreche für mich und will niemandem
meine Sichtweise aufzwingen, natürlich hat jeder das Recht seine Ziele
selbst zu wählen und über sein Leben selbst zu bestimmen.
Ich schreibe hier von meinen Empfindungen - für mich - und ich freue
mich durchaus, wenn jemand anderes etwas damit anfangen kann, wenn
nicht, ist das auch keine Katastrophe. Ich halte es eben nicht für
besonders sinnvoll, anderen oder auch mir selbst etwas zu beweisen oder
unbedingt recht zu behalten, der Mensch irrt solange er lebt, auch das
ist nichts Neues.
Menschen, die einschneidende Erfahrungen hatten, haben oft das Gefühl
aus einem Traum aufzuwachen und die Welt plötzlich mit anderen Augen zu
sehen, mit einem Mal wird alles was vorher scheinbar so wichtig war, auf
einen Schlag belanglos, auf der anderen Seite gewinnen scheinbar
triviale und alltägliche Dinge eine neue Bedeutung: das Lächeln eines
Kindes, die Erkenntnis, dass da ein Mensch ist, der einen versteht und
liebt, selbst Dinge, die man vorher als kindisch und sentimental abgetan
hat, falls man sie überhaupt wahrgenommen hat. Das geht vom flatternden
Schmetterling über eine blühende Blumenwiese bis zum "kitschigen"
Sonnenuntergang.
So kommt es, dass ein so auf den "Erfolg" fixierter Mensch wie Armstrong
mich absolut kalt lässt, ich empfinde eher Mitleid für ihn. Mich
beeindrucken andere mehr:
Die beiden Finalisten heute, die sich ein paar Kilometer vor dem Ziel
absetzten und dann gemeinsam fuhren, während sich die Verfolger in
Attacken verzettelten. Kurz vor dem Schlußsprint reichten sie sich noch
mal kurz die Hände zum Dank für gegenseitige Unterstützung und kämpften
dann in einem fairen Kampf um den Sieg.
Jörg Jaksche, der gestern in einem beeindruckenden Ritt angriff,
schließlich wieder eingeholt wurde und dann bei seinem gestürzten
Teamkameraden Beloki blieb, ohne an die Minuten zu denken, die ihn das
an Zeit kostete. So kann man natürlich keine Tour gewinnen, aber so ein
Mensch erringt nicht nur meinen Respekt, sondern schafft es mich an
einer Punkt zu berühren, der wesentlich über die Bewunderung für einen
sportlichen Erfolg hinausgeht.
Auch Jan Ullrich sehe ich jetzt mit etwas anderen Augen, nachdem er
gestern bereit war, auf den gestürzten Beloki zu warten. Für mich wird
er dadurch zu einem Sieger, selbst wenn er die Tour verlieren sollte. Es
kann eben wesentlich schwerer sein und mehr Überwindung kosten, sich
zurückzunehmen als drauflos zu stürmen.
Zu einem wirklich kompletten Rennfahrer gehören für mich mehr als
schnelle Beine und ein leistungsfähiger Organismus, das Herz am rechten
Fleck darf nicht fehlen, sonst können wir in Zukunft gleich Roboter
starten lassen.
Das Streben nach Erfolg um jeden Preis ist für mich der Anfang von
Unmenschlichkeit und ich bin froh, dass es noch Menschen gibt, die das
auch so sehen und entsprechend handeln.
Kurt