Post by Philippe MeierAus jungen Jahren kenne ich die "Regel", dass sich Radfahrer untereinander
kurz grüssen. Ich empfinde dies als eine angenehme Tradition.
Lass raten: das war eine eher dünner besiedelte Gegend, jedenfalls mit
schmaleren Wegstücken, solchen, die Aufwand machen, wenn man sie sich teilen
muss. Da geht das Grüßen von selbst.
Soweit allfällige Begegnungen bei der Fortbewegung hinausdividiert werden
(auch als Normalvorstellung des Mobilitätswahns), kürzt sich wohl auch das
Grüßen weg. (Als Mythos kehren die Begegnungen dann durch die Hintertür
wieder zurück, als Märchen von Zugabteilen und Lounges usw.).
Post by Philippe MeierHelmträger grüssen KEINE helmlosen Fahrer (schauen einem aber
verbissen/verärgert an) Helmlose grüssen Helmträger und Nicht-Helmträger
Hatte das hier gerade woanders, nachdem sich mir der Schluss aufdrängte, wer
ein auffälliges Accessoire auf dem Kopf anbringt, der tut dies als
Ersatzhandlung, um nicht ganz so unmöbliert die Straße zu bevölkern. Dann
mutiert solches Accessoire leicht zu einer virtuellen Windschutzscheibe,
hinter der Straßenkino konsumiert wird.
(Das umständliche Prozedere einer pfleglichen gegenseitigen Taxierung der
Ausstaffierung dürfte doch mit der Reiterei eine lange Geschichte haben; neu
scheint mir der symbolisierte Wohnzimmerverschlag mit
Warenwirtschaftsanbindung - wenn das eigentlich überflüssige Zusatzinventar
wie eine Sammlung von Versatzstücken aus einem System-Baukasten angenommen
zu werden scheint [den Systemgedanken hatten die alten Ritter noch nicht]:
konstruierte Notwendigkeiten [so wie Moderatoren in den Medien am laufenden
Band unnötige Notwendigkeiten konstruieren], die offenbar bei vielen, via
Systemverwurzelung, eine Art Heimatgefühl herzustellen, womit selbst die
Unpässlichkeit der unsinnigen Anpassungsleistung verdrängbar scheint...
nun, ich habe noch kaum jemanden erlebt, der offensichtlich trockenen Humors
und sachlich _glaubhaft_ drübergestanden wäre, dass so ein Ding auf dem Kopf
sei; statt dessen lassen sich bestimmt Parallelen finden, wo die
Unzufriedenheit über eine nur ambivalent angenommene Anpassungsleistung mit
Aufdringlichkeit oder sonstigem Ausdruck von unterschwellig aggressiver
Kompensation einhergingen, oft kann man es gemütlich abhandeln, z.B. wenn
ein Kinonarr auf einen Büchernarr trifft [und ersterer mit seiner Ungeduld
leicht im Nachteil ist], aber wenn darüber die Nebelmaschine von
verwirrender Propaganda gedreht wird, dann sehe ich mich nunmal dieser
Ambivalenz ausgesetzt, die allzuleicht Opfer sucht, die eigene Inkonsequenz
abwälzen zu können usw. <grrr>)
Post by Philippe MeierOhne Helm und coole Sonnenbrille wird man gar nicht gegrüsst.
Aber geschaut wird schon, ob an der Nämlichkeit des Habitus die
Dringlichkeit der Anpassung registriert wurde (nach obigem Gedankengang [bin
gerade zum Stierlen aufgelegt]: ob man die Ambivalenz nicht ignoriere, dass
unsinnigerweise an der Dachschaufel gelitten wird, dafür aber eine
symbolisierte Versprechung spazierengeführt wird - auch wenn denn vonseiten
der Anhänger einer verräterischen Interpretation, Hauptsache, der
Leidensdruck wird mit Aufmerksamkeit honoriert ...)
Post by Philippe MeierFahrer mit Triaaufsatz oder Triaeinteiler grüssen gar nicht.
Lustig ist auch immer wieder das vorherige abchecken (ist er es wert oder
nicht?) und dann beiläufiges oder konzentriertes auf die Strasse gucken.
Wenn ich Deine Beobachtung aufgreife, und dabei an einem Gedanken
weiterstricke, was ins Kapitel 'sich selbst behindernde Systeme' gehörte
(Radfahren ist in friedlichen Breiten ja eigentlich ein geniales Instrument,
aber gerade, wie es richtig greifen könnte, werden auch gleichzeitig
destruktive gegenläufige Tendenzen inszeniert), fände ich es schade, wenn
sich so eine Typologie, wie oben, denn als systematische Betonierung
darstellte - eigentlich hat man die Alternative von Rollentausch oder von
unerwarteten Auswegen im Verhalten, die der Phantasie geschuldet sind. Das
ist so mit dem Grüßen und dem Verkehrs-Masterplan, die sind nunmal nicht
kompatibel. Da probiert man herum, wie der Gegensatz zu integrieren sei.
Dann kommt noch Spielzeug dazu, damit kann man auch herumprobieren. Dann
kommt aber ein Teil aus der Rubrik des, via Propaganda, sich selbst
behindernden Systems. Irgendwie ist das dann nicht mehr so einfach - und
eher traurig, weil dann per se ein versautes Spiel, jedenfalls empfinde ich
es so.
Ich fuhr vor längerer Zeit gelegentlich per Zug von Übelbach nach Graz, da
fährt für das erste Stück eine gemütliche Bimmelbahn. Wenn die vorbeifährt
und (an den vielen Kreuzungen) bimmmelt, lassen die Bauern kurz ihr Werkzeug
stehen und grüßen. Von da steigt man dann um, in einen Zug auf der
IC-Strecke. Da meinte ich zu einem Nachbarn, dem Herrn Schriftsteller, dass
dieser Gegensatz eine ideale Situation sei, um _Strukturalismus_ zu
veranschaulichen. Weil er mir heftig beipflichtete, und wir deshalb etwas zu
lachen hatten, merkte ich mir das irgendwie.