Post by Arno WelzelPost by Wolfgang StroblPost by Ralph AichingerIch muß mich leider teilweise auch schuldig bekennen, was das Stampfen
betrifft.
Ich würde mir da nichts einreden lassen. Es gibt da einen
Trittfrequenzkult, der es mit einem grundsätzlich nicht falschen Rezept
ein wenig übertreibt. Richtig ist, daß sich die Last auf die Knie (und
entsprechend belastete Teile am Rad) reduzieren läßt, indem man bei
gleicher Geschwindigkeit die Trittfrequenz erhöht. Richtig ist auch, daß
professionelle Rennfahrer und die ihnen nacheifernden Amateure die für
Geschwindigkeiten von 50+ in der Ebene nötige Antriebsleistung nur durch
höhe Trittfrequenzen aufbringen können, und sei es auch nur deswegen,
weil bei gegebener Kurbellänge und den Maximalmaßen der beiden Zahnräder
eines getriebefreien Kettenantriebes die Entfaltung nach oben begrenzt
ist.
Und die Angewohnheit, jede Anfahrt und jeden Anstieg im Wiegetritt zu
fahren, damit man möglichst schnell beschleunigt und die höchste,
erzielbare Geschwindigkeit schafft, kommt auch aus dem Radrennsport.
Das ist, mit Verlaub, eine ziemlich ungewöhnliche, fast schon bizzare
Charakterisierung eines alltäglichen Verhaltens.
Ich habe es nicht nur bei den eigenen Kindern beobachtet, sondern sehe
es auch bei Jugendlichen und bei Radfahrern jeden Alters, daß diese
keineswegs allesamt wie nasse Säcke auf dem Sattel kleben, sondern ich
sehe auch, wie ich im Anschluß an das obige Zitat schrieb, viele für
kurze Sprints, für kurze Anstiege oder auch einfach nur mal so aufstehen
und im Stehen fahren - mal schnell und mit viel Kraft, gelegentlich aber
auch ganz langsam, mit niedriger Trittfrequenz und wenig Kraft - halt
so, wie man eine Treppe hochsteigt. Genau so, wie ich es halt auch
selber mache.
Bloß weil Du und andere das offenbar verlernt haben und die Technik nur
noch aus dem Rennsport kennen, wo das als "Wiegetritt" kultiviert wurde,
heißt das noch lange nicht, daß jeder diesen Fehler nachmachen bzw. dass
man dieses Verhalten anderen einreden sollte. Vor allem aber dann nicht,
wenn man sich eine andere Technik, nämlich das sehr schnelle Kurbeln,
genau dort abschaut.
Post by Arno WelzelDass Wiegetritt aber nicht unbedingt als "Normalfall" sinnvoll ist -
jedenfalls nicht ohne Bindung - hat schon der seelige Sheldon Brown
[usw.]
In dieser Epistel schimmert in jedem Satz ein Bild eines erwachsenen
Publikums durch, das damit angesprochen werden soll, welches das
Fahrrad nur entweder als Paperboy-Spielzeug für Kinder kennt
(Hirschgeweihlenker, Sattel in Kniehöhe, Klappradübersetzung), oder als
todernstes, seriöses Sportgerät für Erwachsene, mit dem diese in full
mating dress ihrem "Training" nachgehen und "competition" spielen.
Aber nicht als Verkehrsmittel, mit dem man quasi aufgewachsen ist, seit
man laufen konnte.
Dergleichen Ratschläge hat man hierzulande als als Acht- bis
Zwölfjähriger bekommen und sich damals schon darüber scheckig gelacht,
weil man sich die entsprechene Technik längst bei seinen Kumpels
abgeschaut hatte. Da ging es weniger darum, ob man besser im Sitzen
oder im Stehen fährt, sondern eher darum, ob man auch auf dem
Gepäckträger sitzend oder stehend fahren kann, und was dergl. Späße mehr
sind.
Allein der Umstand, daß Sheldon - am Ende seiner Epistel - Sätze
schreibt wie
"Sometimes it does just feel good to stand up and blast away, and
there's no harm in doing so occasionally, if your form is smooth, and if
your bicycle is in excellent mechanical condition."
ist interessant, weniger wegen des - eher trivialen - sachlichen
Inhalts, sondern bezüglich dessen, was es darüber sagt, wie er sein
Publikum einschätzt, wenn er glaubt, ihm so etwas mit so viel
Fingerspitzengefühl als Neuigkeit mitzuteilen zu müssen.
Post by Arno WelzelPost by Wolfgang StroblFalsch ist allerdings, daß das schnelle Kurbeln im Sitzen die einzige
MÖglichkeit der Entlastung der Knie ist. Wie Du ja richtig bemerkt hast,
lässt sich durch Aufstehen und Einsatz des ganzen Körpergewichtes die
abgegegebene Leistung auch bei niederiger Trittfequenz erhöhen. So
lange ein Gelenk nicht bewegt wird, verkraftet es erheblich mehr Last
als in Bewegung.
Sich eine tendenziell gelenkschonendere Fahrweise mit kürzeren Gänden
und höherer Trittfrequentz anzugewöhnen, halte ich - auch aus den von
Sheldon genannten Gründen möglicher Stürze oder Materialversagtn - aber
sinnvoller, als jetzt Wiegetritt als "Knieschonung" zu propagieren.
Wenn Du wirklich nie gelernt hast, richtig radzufahren (was ich nicht
recht glauben mag), werde ich wohl kaum in der Lage sein, es Dir aus der
Ferne beizubringen,
Wer die natürliche Reaktion nie erlernt hat, Gewichtsverlagerung als
Puffer zu nutzen und zur Entlastung aufzustehen, wird sich wohl damit
abfinden müssen, auf eine schnell reagierende Schaltung mit großem
Schaltbereich angewiesen zu sein. Ich für meinen Teil bin froh darüber,
daß ich mehr Optionen habe und weiß von meinen Kindern, daß man das
nicht begebracht bekommen muß, sondern es ganz von selber lernt, wenn
man nicht aktiv davon abgehalten wird.
Post by Arno WelzelPost by Wolfgang StroblIn der Praxis ist es vor allem eine Frage der Übung und der Technik,
kurze Sprints oder Steigungen durch Aufstehen zu bewältigen. Und selbst
dann, wenn ich bezüglich der vorhandenen Übersetzungen nicht dazu
gezwungen bin, stehe ich auf längeren Fahrten immer mal wieder auf und
fahre eine Weile im Stehen, einfach um mal andere Muskeln zu benutzen
und den Hintern zu entlasten.
Bei längeren Fahrten, wo man meist auch vorher das Fahrrad etwas genauer
auf evtl. Defekte prüft - mag das ok sein.
Ich habe mein Fahrrad für die kürzliche Fahrt von Bonn nach Essen nicht
sorgfältiger geprüft als für die tägliche Fahrt zur Arbeit.
Post by Arno WelzelDa mache ich das auch.
Ich mache das nicht so. Es erschiene mir leichtfertig.
Post by Arno WelzelAber
da will man mit Wiegetritt ja auch nicht enorme Kräfte auf die Pedale
bringen, sondern eine monotone Dauerbelastung vermeiden.
Interessante Dichotomie, die Du da mit einer gewissen Penetranz
unterstellst.
Ich schließe daraus, daß die Leute, die so etwas predigen oder denen
gepredigt wird, offenbar noch sehr viel weniger radfahren als ich. Denn
mir geht es nach einigen zehn Jahren regelmäßigen Radfahrens und dem
Verschleiß einiger Garnituren Naben- und Kettenschaltungen so, daß ich
einerseits sowohl meine Kräfte im sog. Wiegetritt sehr wohl
kontrollieren kann, und andererseits auch im Sitzen kurzzeitig genügend
Kraft aufbringen kann, um damit Nabenschaltungen oder angeschlissene
Kettenschaltungen zu gefährden.
Aus meiner Erfahrung ist weder die Annahme gerechtfertigt, daß im Stehen
zwingend "enorme Kräfte" auf die Pedale wirkten, noch daß es bei der
durch Aufstehen und Körpereinsatz möglichen Entlastung nur um die
Vermeidung von Monotonie ginge. Tatsächlich ist im Verkehrsgewühl mit
seinem ziemlich unvorhersehbaren stop&go keine Schaltung so schnell
bedienbar, daß sich nicht der Krafteinsatz durch spontanes Aufstehen
_zusätzlich_ zum Gebrauch der Schaltung verstetigen ließe.
Post by Arno WelzelPost by Wolfgang StroblWas die Pedale angeht, so rate ich zu SPD-Pedalen.
ACK. Wobei das im Alltagseinsatz mitunter umständlich ist, wenn man
nicht grundsätzlich mit Radschuhen fahren will und den Kompromiss eines
Kombipedals eingeht.
Ich bin aus div.Gründen eh nicht so gut zu Fuß, suche mir aber meine
SPD-Schuhe trotzdem danach aus, daß sie für kürzere Fußwege durchaus
benutzbar sind. Da ich mich nach der Fahrt zur Arbeit ohnehin umziehe,
wechsele ich dann auch die Schuhe. Und notfalls läßt sich auch ohne
Kombipedale mit normalen Schuhen fahren, sofern die eine ordentliche
Sohle haben. Schlechter als glattgetretene Gummiklotzpedale ist das
allemal nicht. Aber wahrscheinlich widerspricht auch das irgend einem
einschlägigen Codex oder Mantra. :-}
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Wir danken für die Beachtung aller Sicherheitsbestimmungen