Post by Reinhard ZwirnerPost by Martin GerdesFür andere Rechtsregeln gilt, daß sich Verstöße dagegen nicht
lohnen sollten. Auch ist es in anderen Ländern nicht so. Dort
sind Verkehrsverstöße teilweise entscheidend teurer (Faktor 10
oder so).
Aber auch dort muß man - wie hierzulande - erst einmal erwischt werden!
Das schon auch. Aber es spielt halt eine Rolle, wie konsequent dann
Bußgelder verfolgt werden und wie hoch sie sind.
Es heißt, in Skandinavien hielten die Autofahrer auch auf
mutterseelenverlassener Straße die Geschwindigkeitsbegrenzung von m.W.
80 km/h ein, weil ein Verstoß gleich (umgerechnet) mehrere hundert Euro
koste. Bei uns geht es mit 20 oder 30 Euro los, das ist -- selbst wenn
man sich darüber ärgert und mit "Verwaltungskosten" gleich nochmal 20
Euro draufkommen -- letztlich Portokasse.
Post by Reinhard ZwirnerPost by Martin GerdesPost by Reinhard ZwirnerIn meiner allernächsten Umgebung hat die Stadt Hannover zuerst
die Benutzungspflicht eines früheren einseitigen
Zweirichtungsradweges aufgehoben und später - man höre und
staune - die Nutzung in der "falschen" Richtung sogar durch Z.
254 mit zusätzlichem Hinweis "Radfahrer in (sic!) die Fahrbahn"
untersagt. Hier wäre für die Stadt eine Möglichkeit, völlig
problemlos Geld zu scheffeln ...
Mit Falschparkern wäre mit Sicherheit mehr zu holen, weil es
einfach mehr davon gibt als Geisterradfahrer. Wir haben
hierzugroup diesbezüglich eine etwas verbogene Wahrnehmung, weil
für einen der Regulars Geisterradfahrer Zentrum seiner
Weltanschauung sind.
Wie anderswo geschrieben: Radfahrer sind für die Obrigkeit völlig eine
quantité négligeable. Sie begreift uns Alltagsradfahrer nicht als
Verkehrsteilnehmer, nicht als Bürger mit berechtigtem
Mobilitätsinteresse. Eben drum spielt es keine Rolle, daß ein Weglein
über Jahre im Nichts beginnt und im Nichts endet, statt Teil eines
Wegenetzes zu sein. Deswegen aber auch wird gern mit Verkehrsschildern
reguliert, die Einhaltung dieser Regulationen aber nicht kontrolliert
(außer an dem einen Tag pro Jahr, der wochenlang vorher in der Zeitung
angekündigt wird).
Wir Radfahrer sind im Verkehrsalltag vogelfrei, dürfen auf der anderen
Seite aber auch machen, was wir wollen.
Post by Reinhard ZwirnerPost by Martin GerdesPost by Reinhard ZwirnerIch zitiere mal aus
Das Strafmaß für fahrlässige Tötung nach § 222 StGB
“Wer durch Fahrlässigkeit den Tod eines Menschen verursacht,
wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe
bestraft.” (§ 222 StGB) ...
Es ist also möglich, dass der Tod eines Menschen infolge eines
Unfalles in einem nachfolgenden Strafverfahren lediglich mit
einer Geldstrafe geahndet wird.
Oder mit einer Bewährungsstrafe, die der Jurist gemeinhin als
Freiheitsstrafe begreift, die in Wirklichkeit aber noch nicht
einmal eine Geldstrafe ist.
Aber AFAIK in der Regel mit einer Geldauflage oder anderen Maßnahmen
(bei jugendlichen Schlägern oft Anti-Aggressionstraining, das seehhr
beliebt ist ...) verbunden ist.
All das ändert nichts an der Tatsache, daß es in diesem Land
strafrechtlich zu billig ist, einen Radfahrer totzufahren und daß in
aller Regel keine dem Delikt angemessene Strafe -- nämlich ein
langdauerndes Fahrverbot -- verhängt wird, das für den Delinquenten
unmittelbarer zu spüren ist als eine Geldstrafe.
Ich halte den durchschnittlichen unaufmerksamen Rechtsabbieger nicht für
einen Kriminellen, so daß ich eine echte Freiheitsstrafe für
kontraproduktiv hielte. Wozu soll man für ein grobfahrlässiges
Verkehrsdelikt mit Dieben und Betrügern einsperren (die ihre Delikte ja
vorsätzlich begangen haben), aber eine kleine Geldstrafe halte ich für
zuwenig, deren Höhe sich oft daran orientiert, daß man dem Delinquenten
eine Vorstrafe ersparen möchte. Das ist ja auch ein richtiger Ansatz.
Die Gesellschaft hat nichts davon, daß ein unaufmerksamer Rechtsabbieger
in seinem Führungszeugnis als vorbestraft gebrandmarkt wird. Diese
Verbindung aber versperrt den Weg zu einer angemessen saftigen
Geldstrafe.
Unser Justizsystem sieht eine Äquivalenz zwischen Geldstrafe und
Freiheitsstrafe und zwar so, daß jeder "Tagessatz" (also der Verdienst
eines Tages) mit einem Tag Freiheitsentzug gleichgesetzt wird. Ich kann
das nicht nachvollziehen, mein Wertesystem ist fundamental anders.
Ließe man mir die Wahl zwischen einer Geldstrafe von 365 Tagen (also dem
Verdienst eines Jahres) und einer 4wöchigen Freiheitsstrafe, würde ich
ohne jedes Zögern das Geld bezahlen. Ein Tag Gefängnis wäre für mich
gegenüber dem Verdienst eines Tages die entscheidend härtere Strafe. Das
sieht die Juristerei zum Teil genauso und setzt Freiheitsstrafen oft zur
Bewährung auf. Da stimmt in meinen Augen die Relation dann wieder nicht:
Die Juristerei sagt: Freiheitsstrafe ist Freiheitsstrafe, egal ob
abgesessen oder zur Bewährung. Mir hingegen erscheint eine tatsächlich
abgesessene Freiheitsstrafe entscheidend härter als eine
Bewährungsstrafe.
Das österreichische Rechtssystem kennt hier eine Zwischenstufe: Dort
kann man einen Delinquenten zu einer Freiheitsstrafe verurteilen, von
der ein Teil sicher abgesessen werden muß, ein anderer Teil gleich im
Ersturteil als "bedingt" bezeichnet wird, also ohne Mitwirkung eines
weiteren Richters bereits im Strafurteil zur Bewährung ausgesetzt wird.
Dieses Instrument schafft gegenüber dem deutschen
Alles-oder-Nichts-Prinzip eine in meinen Augen sinnvolle Zwischenstufe.
https://de.wikipedia.org/wiki/Bedingte_Strafnachsicht
Das heißt also: Ich sehe eine fundamental ungleiche Bewertung von
Strafen in unserem Justizsystem, deren Resultat dazu führt, daß Strafen
unangemessen erscheinen. Weiterhin engt sie den Spielraum des Richters
ein, der so entweder nur eine zu milde oder nur eine zu strenge Strafe
aussprechen kann, die ihm sinnvoll erscheinende mittlere Strafe aber
nicht.
Zum zweiten fehlt in aller Regel das lange Fahrverbot: Man sollte dem
Delinquenten lange Monate vor Augen führen, daß er seiner
Unaufmerksamkeit wegen (die einen anderen Menschen das Leben gekostet
hat!) in seiner Mobilität gehindert wird (Übrigens: Wer diese Regulation
dann nicht einhält, sollte mit allem Recht wirklich einfahren).
Ich bin sehr wohl der Ansicht, daß es die Aufmerksamkeit aller
Autofahrer generalpräventiv heben würde, wenn bekannt wäre, daß das
Totfahren eines Radfahrers nicht aus der Portokasse beglichen werden
kann, sondern richtig teuer ist -- und einem dazu richtig lang das
Lenkrad aus der Hand genommen wird.
Post by Reinhard ZwirnerPost by Martin GerdesDie Autofahrer-Richter dürften gern im
Strafrahmen etwas höher greifen, damit der Öffentlichkeit klar
wird, daß das Totfahren eines Radfahrers durch unbesonnenes
Rechtsabbiegen mehr als ein Kavaliersdelikt ist: "Hoppla!
Übersehen! Tschuldigung!"
Dann aber generell und nicht nur bei totgefahrenen Radfahrern. Deren
Leben ist für mich nicht mehr wert als das Leben der 2 Menschen, die
beim Einsturz des Kölner Stadtarchivs ums Leben gekommen sind.
Neulich mal hat hier einer geschrieben, daß in der Juristerei jeder
Einzelfall einzeln bewertet werden sollte.
Wenn ein Autofahrer ohne zu schauen rechts abbiegt und dabei einen
Radfahrer ummangelt, braucht man den Schuldigen nicht lang zu suchen,
und es ist auch jedem Autofahrer klar, daß er einen Fußgänger oder
Radfahrer durch einen Unfall schwer verletzen oder töten kann. Ein
Erkenntnisdefizit besteht hier also nicht.
Das sieht im Fall des Kölner U-Bahn-Baus völlig anders aus. Hier mußte
zunächst eine Reihe von Gutachtern klären, warum der Erdeinbruch
überhaupt passiert ist, und dann, wer dafür verantwortlich ist. Die
unmittelbare Ursache-Wirkungs-Kette, die beim Rechtsabbiegerunfall
wirklich jeder sieht, gibt es hier nicht, auch ist sicher kein
Einzelmensch verantwortlich zu machen.
Diese Fälle liegen m.E. schon ganz entscheidend anders.
Post by Reinhard ZwirnerPost by Martin GerdesIch vertrete die Meinung, daß das Totfahren eines Radfahrers durch
einen Rechtsabbieger nennenswert bestraft gehört, beispielsweise
mit 365 Tagessätzen und einem empfindlichen Fahrverbot von
mindestens einem halben Jahr, gern auch einem Jahr.
Ich bin der Meinung, daß die (fahrlässige) Tötung eines jeden
Menschen nennenswert bestraft gehört.
Das hilft in diesem Zusammenhang nicht weiter. Wie oben beschrieben
halte ich es nicht für sinnvoll, im Zusammenhang mit einer angemessenen
Strafzumessung in Straßenverkehrsdingen über den Einsturz des
U-Bahn-Tunnels in Köln zu diskutieren.