Thoralf Winkler
2008-03-12 20:45:51 UTC
Ich schrieb ja schon, daß ich in Wolfgang Rauhs Artikel in der Velo
Secur '90 über diesen Literaturhinweis stolperte:
Ditmar Hunger: Bedingungen und Abhängigkeiten des städtischen
Fahrradverkehrs. Dissertation, Hochschule für Architektur u. Bauwesen,
Weimar, 1987.
124 S. Text + 68 S. Anlagen
Das Buch habe ich jetzt grad in die Hände bekommen. Und konnte zunächst
feststellen, daß es erstens für eine Dissertation sehr
allgemeinverständlich geschrieben ist, zweitens anders als oft üblich
keine Ideologie enthält und viel wichtiger, Themen behandelt, die
teilweise immer noch aktuell sind.
Aus historischem Blickwinkel kann man es durchaus ähnlichen
bundesdeutschen Untersuchungen gegenüberstellen, vielleicht um zu
vergleichen, wie der Radverkehr in einem Land mit einer viel geringerer
Motorisierung (der Autor stellt diesem Begriff den der Fahradisierung
entgegen) funktionierte. Auch hinsichtlich der Gründe, das Rad zu
benutzen, der Streckenwahl, der Art begangenenen Verkehrsverstöße (ja,
auch die Radwegnichtbenutzung).
Ein einleitendes Kapitel behandelt die historische Entwicklung des
Radverkehrs ab 1890 bis 1945 und dann ab 1945.
Die (überwiegend in Großstädten) durchgeführten Untersuchungen
beinhalten Befragungen, Zählungen, Messungen von Fahrgeschwindigkeiten
auf unterschiedlichen Strecken (Meßfahrrad mit umgebauten tragbarem EKG
als Datenlogger) und von Fahrwiderständen auf unterschiedlichen
Untergründen.
Einige Dinge beim Durchblättern (für mehr fehlt mir die Zeit) notiert:
- auch in der DDR gab es in den 70er Jahren einen Rückgang des
Radfahrens (hier z.T. verursacht durch den Ausbau des ÖPNV - dessen
Mängel aber dann auch wieder zum Fahrrad fahren Anlaß geben)
- Fahrradquote pro Einwohner, z.B. für 1986: 0,6 FR/EW
- es wird belegt, daß selbst in der DDR, angesichts des dort geringeren
Motorisierungsgrades, die Gruppe der Radfahrer nicht mit der Gruppe
ohne Kfz übereinstimmt.
- Auswertung von Fahrten von Testradfahrern: : dazu sollten u.a. auch
Trassen getestet werden, die verbotene Wege beinhalten, die dazu
eingeholten Ausnahmegenehmigungen erwiesen sich als unnötig, da "fast
alle Radfahrer ihre Idealtrasse mit einem verkehrswidrigen Anteil
befahren, so daß die Genehmigungen von geringer Bedeutung waren"
- Weganteile, Zeiten und Geschwindigkeiten, z.T. auch getrennt nach
männlich / weiblich ausgewertet.
- Unterscheidung in schnell gemütlich
- Radfahrer sind umwegempfindlich, u.a. behindern Einbahnstraßen und
(eigentlich nur wegen des Kfz-Verkehrs angelegte) Fußgängerzonen
- zu den Verkehrsversößen: Radfahrer verstoßen nicht so viel wie
möglich, sonder so viel wie nötig gegen die StVO. Die Gründe werden
als "ernstzunehmend" (gemeint i.S. von "sinnvoll") bezeichnet.
- Mittelwerte der Reisezeiten (14'), Radfahrstrecken (2,74 km) und
Geschwindigkeiten (11,7 km/h)
- Reisezeitvergleiche inkl. der nötigen Fußwege im Vergleich der Nutzung
von Kfz, ÖPNV, Fahrrad
- Kostenvergleich
- Fahrradnutzung im Jahresverlauf,
- Fahrradnutzung in Abhängigkeit vom Wetter
etc. pp.
Dann noch technische Aspekte, z.B.
- Rollwiderstände,
- Fahrradtypen,
- Gangschaltung,
- Geschwindigkeitsverluste und weitere Nachteile bei Nutzung von
Radverkehrsanlagen (u.a. auch angegeben "Konflikte mit abbiegenden Kfz,
die bei Fahrbahnbenutzung kaum vorkommen")
- Abstellanlagen
und abschließend Empfehlungen zur Verbesserung der Verkehrsvorschriften.
Einiges davon rückblickend eher lustig, z.B. der "Radfahrerüberweg".
Alles in allem aber interessant und in Teilen immer noch aktuell.
Mir selbst waren viele Radverkehrsbelange aus dieser Zeit nicht mehr
konkret in Erinnerung. Auch weil es eben ganz normal war, mit dem Rad zu
fahren (auch wenn ich zu der Zeit neben dem Fahrrad auch die DR benutzte
oder Motorrad fuhr...).
Ich habe das Buch für meine persönlichen Zwecke elektronisch archiviert.
Öffentlich kann's das natürlich nicht geben. Wenn allerdings jemand
privat Interesse hat, dann bitte PM an mich.
Übrigens befürwortet der Autor bereits damals Radfahrspuren. Wenn man
nach dem Namen googelt, findet man ihn (vermutlich) mit eben solchen
unter den "guten Beispielen" auf der Seite des Nationalen Radverkehrsplans.
Schönen Gruß
Thoralf
p.s. einige, aber nur wenige Übersetzungshilfen sind für nicht
Ex-DDR-Bürger möglicherweise nötig, z.B.
EOS - Gymnasium
TGL - DIN
Verkehrssicherheitsaktiv - Verkehrswacht
VP - Verkehrspolizei
Secur '90 über diesen Literaturhinweis stolperte:
Ditmar Hunger: Bedingungen und Abhängigkeiten des städtischen
Fahrradverkehrs. Dissertation, Hochschule für Architektur u. Bauwesen,
Weimar, 1987.
124 S. Text + 68 S. Anlagen
Das Buch habe ich jetzt grad in die Hände bekommen. Und konnte zunächst
feststellen, daß es erstens für eine Dissertation sehr
allgemeinverständlich geschrieben ist, zweitens anders als oft üblich
keine Ideologie enthält und viel wichtiger, Themen behandelt, die
teilweise immer noch aktuell sind.
Aus historischem Blickwinkel kann man es durchaus ähnlichen
bundesdeutschen Untersuchungen gegenüberstellen, vielleicht um zu
vergleichen, wie der Radverkehr in einem Land mit einer viel geringerer
Motorisierung (der Autor stellt diesem Begriff den der Fahradisierung
entgegen) funktionierte. Auch hinsichtlich der Gründe, das Rad zu
benutzen, der Streckenwahl, der Art begangenenen Verkehrsverstöße (ja,
auch die Radwegnichtbenutzung).
Ein einleitendes Kapitel behandelt die historische Entwicklung des
Radverkehrs ab 1890 bis 1945 und dann ab 1945.
Die (überwiegend in Großstädten) durchgeführten Untersuchungen
beinhalten Befragungen, Zählungen, Messungen von Fahrgeschwindigkeiten
auf unterschiedlichen Strecken (Meßfahrrad mit umgebauten tragbarem EKG
als Datenlogger) und von Fahrwiderständen auf unterschiedlichen
Untergründen.
Einige Dinge beim Durchblättern (für mehr fehlt mir die Zeit) notiert:
- auch in der DDR gab es in den 70er Jahren einen Rückgang des
Radfahrens (hier z.T. verursacht durch den Ausbau des ÖPNV - dessen
Mängel aber dann auch wieder zum Fahrrad fahren Anlaß geben)
- Fahrradquote pro Einwohner, z.B. für 1986: 0,6 FR/EW
- es wird belegt, daß selbst in der DDR, angesichts des dort geringeren
Motorisierungsgrades, die Gruppe der Radfahrer nicht mit der Gruppe
ohne Kfz übereinstimmt.
- Auswertung von Fahrten von Testradfahrern: : dazu sollten u.a. auch
Trassen getestet werden, die verbotene Wege beinhalten, die dazu
eingeholten Ausnahmegenehmigungen erwiesen sich als unnötig, da "fast
alle Radfahrer ihre Idealtrasse mit einem verkehrswidrigen Anteil
befahren, so daß die Genehmigungen von geringer Bedeutung waren"
- Weganteile, Zeiten und Geschwindigkeiten, z.T. auch getrennt nach
männlich / weiblich ausgewertet.
- Unterscheidung in schnell gemütlich
- Radfahrer sind umwegempfindlich, u.a. behindern Einbahnstraßen und
(eigentlich nur wegen des Kfz-Verkehrs angelegte) Fußgängerzonen
- zu den Verkehrsversößen: Radfahrer verstoßen nicht so viel wie
möglich, sonder so viel wie nötig gegen die StVO. Die Gründe werden
als "ernstzunehmend" (gemeint i.S. von "sinnvoll") bezeichnet.
- Mittelwerte der Reisezeiten (14'), Radfahrstrecken (2,74 km) und
Geschwindigkeiten (11,7 km/h)
- Reisezeitvergleiche inkl. der nötigen Fußwege im Vergleich der Nutzung
von Kfz, ÖPNV, Fahrrad
- Kostenvergleich
- Fahrradnutzung im Jahresverlauf,
- Fahrradnutzung in Abhängigkeit vom Wetter
etc. pp.
Dann noch technische Aspekte, z.B.
- Rollwiderstände,
- Fahrradtypen,
- Gangschaltung,
- Geschwindigkeitsverluste und weitere Nachteile bei Nutzung von
Radverkehrsanlagen (u.a. auch angegeben "Konflikte mit abbiegenden Kfz,
die bei Fahrbahnbenutzung kaum vorkommen")
- Abstellanlagen
und abschließend Empfehlungen zur Verbesserung der Verkehrsvorschriften.
Einiges davon rückblickend eher lustig, z.B. der "Radfahrerüberweg".
Alles in allem aber interessant und in Teilen immer noch aktuell.
Mir selbst waren viele Radverkehrsbelange aus dieser Zeit nicht mehr
konkret in Erinnerung. Auch weil es eben ganz normal war, mit dem Rad zu
fahren (auch wenn ich zu der Zeit neben dem Fahrrad auch die DR benutzte
oder Motorrad fuhr...).
Ich habe das Buch für meine persönlichen Zwecke elektronisch archiviert.
Öffentlich kann's das natürlich nicht geben. Wenn allerdings jemand
privat Interesse hat, dann bitte PM an mich.
Übrigens befürwortet der Autor bereits damals Radfahrspuren. Wenn man
nach dem Namen googelt, findet man ihn (vermutlich) mit eben solchen
unter den "guten Beispielen" auf der Seite des Nationalen Radverkehrsplans.
Schönen Gruß
Thoralf
p.s. einige, aber nur wenige Übersetzungshilfen sind für nicht
Ex-DDR-Bürger möglicherweise nötig, z.B.
EOS - Gymnasium
TGL - DIN
Verkehrssicherheitsaktiv - Verkehrswacht
VP - Verkehrspolizei