Discussion:
Radverkehr in der DDR
(zu alt für eine Antwort)
Thoralf Winkler
2008-03-12 20:45:51 UTC
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Ich schrieb ja schon, daß ich in Wolfgang Rauhs Artikel in der Velo
Secur '90 über diesen Literaturhinweis stolperte:
Ditmar Hunger: Bedingungen und Abhängigkeiten des städtischen
Fahrradverkehrs. Dissertation, Hochschule für Architektur u. Bauwesen,
Weimar, 1987.
124 S. Text + 68 S. Anlagen

Das Buch habe ich jetzt grad in die Hände bekommen. Und konnte zunächst
feststellen, daß es erstens für eine Dissertation sehr
allgemeinverständlich geschrieben ist, zweitens anders als oft üblich
keine Ideologie enthält und viel wichtiger, Themen behandelt, die
teilweise immer noch aktuell sind.

Aus historischem Blickwinkel kann man es durchaus ähnlichen
bundesdeutschen Untersuchungen gegenüberstellen, vielleicht um zu
vergleichen, wie der Radverkehr in einem Land mit einer viel geringerer
Motorisierung (der Autor stellt diesem Begriff den der Fahradisierung
entgegen) funktionierte. Auch hinsichtlich der Gründe, das Rad zu
benutzen, der Streckenwahl, der Art begangenenen Verkehrsverstöße (ja,
auch die Radwegnichtbenutzung).

Ein einleitendes Kapitel behandelt die historische Entwicklung des
Radverkehrs ab 1890 bis 1945 und dann ab 1945.

Die (überwiegend in Großstädten) durchgeführten Untersuchungen
beinhalten Befragungen, Zählungen, Messungen von Fahrgeschwindigkeiten
auf unterschiedlichen Strecken (Meßfahrrad mit umgebauten tragbarem EKG
als Datenlogger) und von Fahrwiderständen auf unterschiedlichen
Untergründen.

Einige Dinge beim Durchblättern (für mehr fehlt mir die Zeit) notiert:
- auch in der DDR gab es in den 70er Jahren einen Rückgang des
Radfahrens (hier z.T. verursacht durch den Ausbau des ÖPNV - dessen
Mängel aber dann auch wieder zum Fahrrad fahren Anlaß geben)
- Fahrradquote pro Einwohner, z.B. für 1986: 0,6 FR/EW
- es wird belegt, daß selbst in der DDR, angesichts des dort geringeren
Motorisierungsgrades, die Gruppe der Radfahrer nicht mit der Gruppe
ohne Kfz übereinstimmt.
- Auswertung von Fahrten von Testradfahrern: : dazu sollten u.a. auch
Trassen getestet werden, die verbotene Wege beinhalten, die dazu
eingeholten Ausnahmegenehmigungen erwiesen sich als unnötig, da "fast
alle Radfahrer ihre Idealtrasse mit einem verkehrswidrigen Anteil
befahren, so daß die Genehmigungen von geringer Bedeutung waren"
- Weganteile, Zeiten und Geschwindigkeiten, z.T. auch getrennt nach
männlich / weiblich ausgewertet.
- Unterscheidung in schnell gemütlich
- Radfahrer sind umwegempfindlich, u.a. behindern Einbahnstraßen und
(eigentlich nur wegen des Kfz-Verkehrs angelegte) Fußgängerzonen
- zu den Verkehrsversößen: Radfahrer verstoßen nicht so viel wie
möglich, sonder so viel wie nötig gegen die StVO. Die Gründe werden
als "ernstzunehmend" (gemeint i.S. von "sinnvoll") bezeichnet.
- Mittelwerte der Reisezeiten (14'), Radfahrstrecken (2,74 km) und
Geschwindigkeiten (11,7 km/h)
- Reisezeitvergleiche inkl. der nötigen Fußwege im Vergleich der Nutzung
von Kfz, ÖPNV, Fahrrad
- Kostenvergleich
- Fahrradnutzung im Jahresverlauf,
- Fahrradnutzung in Abhängigkeit vom Wetter
etc. pp.

Dann noch technische Aspekte, z.B.
- Rollwiderstände,
- Fahrradtypen,
- Gangschaltung,
- Geschwindigkeitsverluste und weitere Nachteile bei Nutzung von
Radverkehrsanlagen (u.a. auch angegeben "Konflikte mit abbiegenden Kfz,
die bei Fahrbahnbenutzung kaum vorkommen")
- Abstellanlagen

und abschließend Empfehlungen zur Verbesserung der Verkehrsvorschriften.
Einiges davon rückblickend eher lustig, z.B. der "Radfahrerüberweg".

Alles in allem aber interessant und in Teilen immer noch aktuell.
Mir selbst waren viele Radverkehrsbelange aus dieser Zeit nicht mehr
konkret in Erinnerung. Auch weil es eben ganz normal war, mit dem Rad zu
fahren (auch wenn ich zu der Zeit neben dem Fahrrad auch die DR benutzte
oder Motorrad fuhr...).

Ich habe das Buch für meine persönlichen Zwecke elektronisch archiviert.
Öffentlich kann's das natürlich nicht geben. Wenn allerdings jemand
privat Interesse hat, dann bitte PM an mich.

Übrigens befürwortet der Autor bereits damals Radfahrspuren. Wenn man
nach dem Namen googelt, findet man ihn (vermutlich) mit eben solchen
unter den "guten Beispielen" auf der Seite des Nationalen Radverkehrsplans.

Schönen Gruß
Thoralf

p.s. einige, aber nur wenige Übersetzungshilfen sind für nicht
Ex-DDR-Bürger möglicherweise nötig, z.B.
EOS - Gymnasium
TGL - DIN
Verkehrssicherheitsaktiv - Verkehrswacht
VP - Verkehrspolizei
Christoph Maercker
2008-03-13 12:30:19 UTC
Permalink
Post by Thoralf Winkler
Ditmar Hunger: Bedingungen und Abhängigkeiten des städtischen
Fahrradverkehrs. Dissertation, Hochschule für Architektur u. Bauwesen,
Weimar, 1987.
124 S. Text + 68 S. Anlagen
Das Buch habe ich jetzt grad in die Hände bekommen. Und konnte zunächst
feststellen, daß es erstens für eine Dissertation sehr
allgemeinverständlich geschrieben ist, zweitens anders als oft üblich
keine Ideologie enthält und viel wichtiger, Themen behandelt, die
teilweise immer noch aktuell sind.
Klingt interessant.
Post by Thoralf Winkler
Die (überwiegend in Großstädten) durchgeführten Untersuchungen
beinhalten Befragungen, Zählungen, Messungen von Fahrgeschwindigkeiten
auf unterschiedlichen Strecken (Meßfahrrad mit umgebauten tragbarem EKG
als Datenlogger) und von Fahrwiderständen auf unterschiedlichen
Untergründen.
Sind Halle und Magdeburg mit dabei?
Post by Thoralf Winkler
- auch in der DDR gab es in den 70er Jahren einen Rückgang des
Radfahrens (hier z.T. verursacht durch den Ausbau des ÖPNV - dessen
Mängel aber dann auch wieder zum Fahrrad fahren Anlaß geben)
Gab es in den 1980ern keinen weiteren Rückgang? Da habe ich anderes in
Erinnerung.
Post by Thoralf Winkler
- Fahrradquote pro Einwohner, z.B. für 1986: 0,6 FR/EW
Huch, so wenig?? Dann lagen wir ja schon damals über dem Durchschnitt!
Post by Thoralf Winkler
- es wird belegt, daß selbst in der DDR, angesichts des dort geringeren
Motorisierungsgrades, die Gruppe der Radfahrer nicht mit der Gruppe
ohne Kfz übereinstimmt.
Trivial. Einige gehen zu Fuß, andere fahren mit Öffis.
Post by Thoralf Winkler
- Auswertung von Fahrten von Testradfahrern: : dazu sollten u.a. auch
Trassen getestet werden, die verbotene Wege beinhalten, die dazu
eingeholten Ausnahmegenehmigungen erwiesen sich als unnötig, da "fast
alle Radfahrer ihre Idealtrasse mit einem verkehrswidrigen Anteil
befahren, so daß die Genehmigungen von geringer Bedeutung waren"
Damals wird es sich vor allem um Einbahnstraßen, Fußgängerzonen, nur für
Fußgänger erlaubte Hausdurchfahrten und Tunnel, gesperrte Straßen oder
Gartenanlagen etc. gehandelt haben. Geisterradeln war in der DDR
einklich nicht üblich. Diesbzgl. habe ich auch fleißig gesündigt. :-)
Post by Thoralf Winkler
- Radfahrer sind umwegempfindlich, u.a. behindern Einbahnstraßen und
(eigentlich nur wegen des Kfz-Verkehrs angelegte) Fußgängerzonen
- zu den Verkehrsversößen: Radfahrer verstoßen nicht so viel wie
möglich, sonder so viel wie nötig gegen die StVO. Die Gründe werden
als "ernstzunehmend" (gemeint i.S. von "sinnvoll") bezeichnet.
Erstaunlich, aber zugleich schön, dass es so allgemeingültig
festgestellt wurde. Mit dem Einordnen zum Linksabbiegen hatten
beispielsweise damals schon etliche Radfahrer Probleme.

Welche Verstöße wurden überhaupt genannt?
Post by Thoralf Winkler
- Mittelwerte der Reisezeiten (14'), Radfahrstrecken (2,74 km) und
Geschwindigkeiten (11,7 km/h)
Könnte mit den damaligen Rädern hinkommen.
Post by Thoralf Winkler
- Reisezeitvergleiche inkl. der nötigen Fußwege im Vergleich der Nutzung
von Kfz, ÖPNV, Fahrrad
- Kostenvergleich
- Fahrradnutzung im Jahresverlauf,
- Fahrradnutzung in Abhängigkeit vom Wetter
etc. pp.
Diese Ergebnisse würden mich interessieren.
Post by Thoralf Winkler
- Geschwindigkeitsverluste und weitere Nachteile bei Nutzung von
Radverkehrsanlagen (u.a. auch angegeben "Konflikte mit abbiegenden Kfz,
die bei Fahrbahnbenutzung kaum vorkommen")
Oha! Na ja, die Dissertation eines Kollegen muss ja nicht jeder
Verkehrtplaner gelesen haben.
Post by Thoralf Winkler
- Abstellanlagen
Da war die Auswahl nicht allzu groß. ;-)
Post by Thoralf Winkler
und abschließend Empfehlungen zur Verbesserung der Verkehrsvorschriften.
Einiges davon rückblickend eher lustig, z.B. der "Radfahrerüberweg".
Davon habe ich zu DDR-Zeiten mal gehört.
Post by Thoralf Winkler
Übrigens befürwortet der Autor bereits damals Radfahrspuren.
Damals wären sie sogar ein Fortschritt gewesen, allein schon wegen des
Zustandes unerer sozialistischen "Radwege".
Post by Thoralf Winkler
VP - Verkehrspolizei
... im weitestem Sinne. Lass das bloß nicht die Nostalgiker in
de.alt.folklore.ddr lesen! ;-)
--
CU Christoph Maercker.

RADWEGE sind TODSICHER!
Elke Schwarz
2008-03-13 15:26:59 UTC
Permalink
"Christoph Maercker" schrieb
Post by Christoph Maercker
Post by Thoralf Winkler
- Mittelwerte der Reisezeiten (14'), Radfahrstrecken (2,74 km) und
Geschwindigkeiten (11,7 km/h)
Könnte mit den damaligen Rädern hinkommen.
ich glaube, wenn du alle Radfahrer heutigentags zusammen nimmst,
siehts genauso aus - was soll die Bauweise der Räder damit zu tun
haben? Rennräder gabs doch auch.
Eher waren die Untergründe schlecht - viel Rad wurde ja in den
Außenbezirken (ich komme aus Mahlsdorf Süd) gefahren, da gabs
halt nur Sandstraßen. Man durfte aber auch auf der Straße, äh Fahr-
bahn fahren, da kam man schon recht flott voran.
Post by Christoph Maercker
Post by Thoralf Winkler
- Abstellanlagen
Da war die Auswahl nicht allzu groß. ;-)
Man konnte das Rad auch unangeschlossen stehen lassen, Fahrrad-
diebstahl war im Sozialismus nicht sehr verbreitet, besonders in
Gegenden, wo jeder jeden kannte.
Wenn eins geklaut wurde, dann eher aus Verlegenheit.
Post by Christoph Maercker
Post by Thoralf Winkler
VP - Verkehrspolizei
... im weitestem Sinne. Lass das bloß nicht die Nostalgiker in
de.alt.folklore.ddr lesen! ;-)
äh, das andere war doch die VoPo *duck*
E.
Thomas Wedekind
2008-03-13 16:39:58 UTC
Permalink
Post by Elke Schwarz
Wenn eins geklaut wurde, dann eher aus Verlegenheit.
Ja, die Leute fuhren dann richtig damit (nicht wie heute, wo das
Rad eher zerlegt wird). Wegen der schlechten Versorgungslage bei
bestimmten Teilen (traf für Berlin wohl nicht zu) wurden solche
aber oft geklaut. Wenn z.B. einem Schüler die Lampe kaputt
gegangen war (Sturz etc.) und er im Laden wochenlang keine neue
bekam, schraubte er ggf. vom Rad eines Mitschülers eine ab; es gab
ja auch Verkehrskontrollen z.B. mit der Auflage, das Rad demnächst
mit vollständiger Lichtanlage bei der Polizei vorzuführen. Der
Kluge kennzeichnete seine "Mangelteile" (Einritzen von Zeichen,
...), um sie wieder zu erkennen und bei "Bedarf" seinerseits dem
ursprünglichen Dieb zu entführen.
--
Viele Grüße, Thomas
Jörg 'Yadgar' Bleimann
2008-03-14 15:39:01 UTC
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Falk Tannhäuser
2008-03-13 21:02:44 UTC
Permalink
Post by Elke Schwarz
"Christoph Maercker" schrieb
Post by Christoph Maercker
Post by Thoralf Winkler
- Mittelwerte der Reisezeiten (14'), Radfahrstrecken (2,74 km) und
Geschwindigkeiten (11,7 km/h)
Könnte mit den damaligen Rädern hinkommen.
ich glaube, wenn du alle Radfahrer heutigentags zusammen nimmst,
siehts genauso aus - was soll die Bauweise der Räder damit zu tun
haben? Rennräder gabs doch auch.
Eher waren die Untergründe schlecht - viel Rad wurde ja in den
Außenbezirken (ich komme aus Mahlsdorf Süd) gefahren, da gabs
halt nur Sandstraßen. Man durfte aber auch auf der Straße, äh Fahr-
bahn fahren, da kam man schon recht flott voran.
Kopfsteinpflaster war auch relativ verbreitet - beim Fahren etwas
gewöhnungsbedürftig!

MfG
Falk
Christoph Maercker
2008-03-14 07:24:07 UTC
Permalink
Post by Elke Schwarz
ich glaube, wenn du alle Radfahrer heutigentags zusammen nimmst,
siehts genauso aus - was soll die Bauweise der Räder damit zu tun
haben? Rennräder gabs doch auch.
Normale DDR-Räder hatten keine Schaltungen und waren, so sie aus dem
Hause MiFa kamen (das war die Mehrheit), etwas schwergängig. Außerdem
waren 28"er Räder oft Mangelware. Alles Dinge, die Auswirkungen auf die
Geschwinigkeit haben.

Ich weiß nicht, ob der Autor bei der Ermittlung der
Schnittgeschwindigkeit auch Schiebestrecken an Steigungen mit einbezogen
hat. Ohne Schaltung ist man im Bergland schnell an diesem Punkt angelangt.
Post by Elke Schwarz
Eher waren die Untergründe schlecht - viel Rad wurde ja in den
Außenbezirken (ich komme aus Mahlsdorf Süd) gefahren, da gabs
halt nur Sandstraßen. Man durfte aber auch auf der Straße, äh Fahr-
bahn fahren, da kam man schon recht flott voran.
Die damaligen Straßenzustände kommen noch hinzu. Viele, auch
Hauptstraßen, waren innerorts, wo der meiste Radverkehr stattfindet, mit
(halb kaputten) "Katzenköppen" gepflastert! Da waren kaum mehr als
10..15km/h drin.
Post by Elke Schwarz
Man konnte das Rad auch unangeschlossen stehen lassen, Fahrrad-
diebstahl war im Sozialismus nicht sehr verbreitet, besonders in
Gegenden, wo jeder jeden kannte.
Wenn eins geklaut wurde, dann eher aus Verlegenheit.
Oh! In Halle nicht. Höchstens auf den Dörfern. Mutters gutes altes
Wanderer fand sogar in der Vorstadt (beinahe Dorf) einen "Liebhaber".
--
CU Christoph Maercker.

RADWEGE sind TODSICHER!
Christian Georg Becker
2008-03-14 09:54:09 UTC
Permalink
Post by Christoph Maercker
Post by Elke Schwarz
ich glaube, wenn du alle Radfahrer heutigentags zusammen nimmst,
siehts genauso aus - was soll die Bauweise der Räder damit zu tun
haben? Rennräder gabs doch auch.
Normale DDR-Räder hatten keine Schaltungen und waren, so sie aus dem
Hause MiFa kamen (das war die Mehrheit), etwas schwergängig. Außerdem
waren 28"er Räder oft Mangelware. Alles Dinge, die Auswirkungen auf die
Geschwinigkeit haben.
Wobei es da die manuelle Schaltung gab. Achse lockern, Kette auf anderen
Ritzel umlegen, festschrauben, in den Bergen weiterfahren.
--
Krischan

------------------------------------------------------------------------
MUD Morgengrauen - Ein Spiel fuer Leute, welche immer noch
http://mg.mud.de wagemutig genug sind, Buecher zu lesen.
Elke Schwarz
2008-03-14 13:17:48 UTC
Permalink
Post by Christoph Maercker
Post by Elke Schwarz
ich glaube, wenn du alle Radfahrer heutigentags zusammen nimmst,
siehts genauso aus - was soll die Bauweise der Räder damit zu tun
haben? Rennräder gabs doch auch.
Normale DDR-Räder hatten keine Schaltungen und waren, so sie aus dem
Hause MiFa kamen (das war die Mehrheit), etwas schwergängig. Außerdem
waren 28"er Räder oft Mangelware. Alles Dinge, die Auswirkungen auf die
Geschwinigkeit haben.
Hm, mir standen 2 zur Verfügung: ein 28er Damenrad und das Rennrad
von meinem Papi aus den 50ern (mit dem bin ich öfters umgefallen,
da im Sand steckengeblieben).
Aber: viele hatten ein Klappfahrrad! Insgesamt war der Wartungszu-
stand auch nicht besonders doll, die Räder waren alt und Teile
gabs auch nicht wirklich.
Post by Christoph Maercker
hat. Ohne Schaltung ist man im Bergland schnell an diesem Punkt angelangt.
Man kommt doch ohne (ausreichend Wadenmuckis vorausgesetzt)
viel schneller den Berg rauf, als die mit Gangschaltung, die ewig
kurbeln müssen.
Post by Christoph Maercker
Die damaligen Straßenzustände kommen noch hinzu. Viele, auch
Hauptstraßen, waren innerorts, wo der meiste Radverkehr stattfindet, mit
(halb kaputten) "Katzenköppen" gepflastert! Da waren kaum mehr als
10..15km/h drin.
Na, dann halt auf dem Gehweg, aber schneller als 15 kmh gehts da
auch nicht :( da kommt das mit 11,7kmh Durchschnitt schon hin.
Post by Christoph Maercker
Post by Elke Schwarz
Wenn eins geklaut wurde, dann eher aus Verlegenheit.
Oh! In Halle nicht. Höchstens auf den Dörfern. Mutters gutes altes
Wanderer fand sogar in der Vorstadt (beinahe Dorf) einen "Liebhaber".
Als Schloss gabs nur so ein Minikabel, leicht durchzuzwicken. Wenn
einer wirklich klauen wollte, war das auch kein Hindernis. Nun gab es
meinnes Wissens keinen Schwarzmarkthandel mit Rädern, eher war
es eine Art Rotationsprinzip: das Fahrrad weg, anderes "mitgenommen",
der Gedanke an Volkseigentum, Sozialismus und Kommunismus
war da wohl im Hinterkopf.
E.
Rainer Mai
2008-03-14 15:57:58 UTC
Permalink
Post by Elke Schwarz
Man kommt doch ohne (ausreichend Wadenmuckis vorausgesetzt)
viel schneller den Berg rauf, als die mit Gangschaltung, die ewig
kurbeln müssen.
Klar doch! Deshalb gibt es ja mittlerweile eine Ostalgie-Welle namens
"Singlespeeder".
Post by Elke Schwarz
Als Schloss gabs nur so ein Minikabel, leicht durchzuzwicken. Wenn
einer wirklich klauen wollte, war das auch kein Hindernis. Nun gab es
meinnes Wissens keinen Schwarzmarkthandel mit Rädern, eher war
es eine Art Rotationsprinzip: das Fahrrad weg, anderes "mitgenommen",
der Gedanke an Volkseigentum, Sozialismus und Kommunismus
war da wohl im Hinterkopf.
Hm, insofern sind die besagten Olstagiker heutzutage irgendwie weniger
solidarisch.

<duck>
Rainer
Jörg 'Yadgar' Bleimann
2008-03-15 00:27:32 UTC
Permalink
High!
Post by Rainer Mai
Klar doch! Deshalb gibt es ja mittlerweile eine Ostalgie-Welle namens
"Singlespeeder".
Die umgebauten Mountainbikes bei Pervelo, für die ich Anfang der 90er
eine Zeitlang als Fahrradkurier durch Köln kurbelte, hatten auch nur
exakt einen einzigen Gang...

Bis bald auf www.khyberspace.de -
oder auch www.bergisch-afghanistan.de!

Yadgar

Now playing: 108 Battles (Of The Mind) (Kula Shaker)
Christoph Maercker
2008-03-14 16:14:21 UTC
Permalink
Post by Elke Schwarz
Hm, mir standen 2 zur Verfügung: ein 28er Damenrad und das Rennrad
von meinem Papi aus den 50ern (mit dem bin ich öfters umgefallen,
da im Sand steckengeblieben).
In der märkischen Heide glaube ich das gern.

Ich hatte drei Räder zum Vergleich:
- 28"er Diamant Sportrad: sehr leichtgängig, aber anfällig
(Alu-Felgen!!)
- 26"er MiFa Tourenrad: deutlich schwerfälliger
- Klapprad: schlecht zu lenken, insgesamt nur für kurze Strecken
geeignet. Mit der Karre war ich ca. 30% langsamer als mit dem Diamant
Post by Elke Schwarz
Aber: viele hatten ein Klappfahrrad! Insgesamt war der Wartungszu-
stand auch nicht besonders doll, die Räder waren alt und Teile
gabs auch nicht wirklich.
Solange ich mein Diamant Sport regelmäßig und gründlich gewartet habe,
hat es das mir mit zig Pannen, kaputten Felgen, Pedalbrüchen und
sonstigen Ausfällen gedankt. Nachdem ich meine Fahrweise total auf den
Straßenbelag ausgerichtet und am Rad nur noch das Allernötigste
repariert habe, bin ich damit gut zwanzig Jahre super gefahren. Das Rad
steht heute noch als Notfallreserve im Schuppen. Ersatzteile hatte ich
zu DDR-Zeiten in solchen Mengen gehortet, dass ich heute noch auf
einigen Altlasten sitze. Die ganzen Verschleißteile habe ich aber
inzwischen verbraucht. ;-)
Post by Elke Schwarz
Man kommt doch ohne (ausreichend Wadenmuckis vorausgesetzt)
viel schneller den Berg rauf, als die mit Gangschaltung, die ewig
kurbeln müssen.
Bis zu einer bestimmten Steigung ja. Kurze Steigungen habe ich durch den
Schwung vom vorherigen Abhang bzw. einen "Anlauf" genommen. Aber für den
Thüringer Wald hat die Torpedo-Nabe denn doch nicht gereicht, dort
musste ich einige Strecken denn doch schieben. Heute habe ich übrigens
die Quittung in den Knien, gerade *weil* die Wadenmuskeln ausreichend
stark waren.

[Straßenzustände DDR]
Post by Elke Schwarz
Na, dann halt auf dem Gehweg, aber schneller als 15 kmh gehts da
auch nicht :( da kommt das mit 11,7kmh Durchschnitt schon hin.
Manchmal sogar langsamer, Bordabsenkungen waren damals Luxus.
Post by Elke Schwarz
Als Schloss gabs nur so ein Minikabel, leicht durchzuzwicken. Wenn
einer wirklich klauen wollte, war das auch kein Hindernis.
Unangeschlossen durfte man damals wie heute kein Rad stehen lassen.
Jedenfalls nicht in Städten.
--
CU Christoph Maercker.

RADWEGE sind TODSICHER!
Winfried
2008-03-15 17:09:58 UTC
Permalink
Post by Elke Schwarz
Aber: viele hatten ein Klappfahrrad! Insgesamt war der Wartungszu-
stand auch nicht besonders doll,
Selbst eine stramme MSBlerin (MSB = Marxistischer Studentenbund
Spartakus,behauptete immer, von der DDR nicht finanziell unterstützt
zu werden und verschwand fast gleichzeitig mit derselben von der
Bildfläche) hat sich mal über die Schrotträder während einer der
beliebten Studentenfreizeiten am Scharmützelsee beschwert.
Post by Elke Schwarz
die Räder waren alt und Teile
gabs auch nicht wirklich.
Muß um 1987 gewesen sein, da stand mal im Eulenspiegel eine Story über
einen Provinz-Fahrradhändler, der, egal wieviel er bestellte, nur
(AFAIK) 5 Felgen pro Quartal (oder Monat?) bekam. Er hat dann immer
höhere Stückzahlen bestellt und war zum Schluß bei 1 Mio. angelangt.
Das hat aber niemanden gestört, er hat immer die gleiche Anzahl
bekommen.

Winfried Büchsenschütz (an einem seiner Räder einen schick
pinkfarbenen Kettenschutz aus DDR-Restbeständen verbaut habend)
D***@web.de
2008-03-14 08:50:27 UTC
Permalink
Post by Elke Schwarz
Man konnte das Rad auch unangeschlossen stehen lassen, Fahrrad-
diebstahl war im Sozialismus nicht sehr verbreitet, besonders in
Gegenden, wo jeder jeden kannte.
Wenn eins geklaut wurde, dann eher aus Verlegenheit.
Ich erinnere mich an einen Fahrradständer (Abstellanlage mit mehreren
Plätzen), den ich als zugezogener Wessi 1993 in Dresden in einem
elbenahen, "gutbürgerlichen" Ortsteil mitten auf dem Dorfplatz fand:
Es stand darauf in einer harten, befehlsgewohnten Sprache, die ich nur
von den Grenzkontrollen von vor 1989 kannte, dass man sein Fahrrad
darin einzustellen habe, die daran angebrachte Kette zum Anschließen
zu benutzen habe (das kostete - ich glaube - 10 Pfge) und vor allem,
dass die Nichtbenutzung dieser kostenpflichtigen Abstellanlage
strafbar nach den Paragraphen soundso sei. Das brachte mich zu der
Frage, wie man seinen Bürgern strafbewehrt vorschreiben kann, so ein
kostenpflichtiges Angebot zu benutzen und vor allem, wo die Grenzen
sind: Wenn ich einen Besuch in einer der angrenzenden Straßen mache,
darf ich dann dort parken? Oder muss man dann auch sein Rad auf dem
Platz in diesem Ständer abstellen? Oder gilt die Strafandrohung nur,
wenn man genau auf diesem Platz parken will? 30m entfernt? Oder nur im
Umkreis von 10m Entfernung? Nun kümmerte dieses etwas angerostete
Relikt zu der Zeit niemanden mehr, und die Lebenswirklichkeit vor 1989
habe ich an der Stelle nicht kennengelernt. Aber dass Fahrraddiebstahl
nicht sehr verbreitet war, war nicht gerade meine Assoziation, als ich
las, dass man denjenigen Bürgern Strafe androhte, die eine
kostenpflichtige öffentliche Anschließkette ignorieren.
Dietmar
Elke Schwarz
2008-03-14 13:07:15 UTC
Permalink
Post by D***@web.de
Plätzen), den ich als zugezogener Wessi 1993 in Dresden in einem
Es stand darauf in einer harten, befehlsgewohnten Sprache, die ich nur
von den Grenzkontrollen von vor 1989 kannte, dass man sein Fahrrad
darin einzustellen habe, die daran angebrachte Kette zum Anschließen
zu benutzen habe (das kostete - ich glaube - 10 Pfge) und vor allem,
dass die Nichtbenutzung dieser kostenpflichtigen Abstellanlage
strafbar nach den Paragraphen soundso sei. Das brachte mich zu der
OMG - das Teil muss noch von vor dem Krieg gewesen sein!
Andererseit: gute Idee, da kann die Stadt sich noch was
dazuverdienen und die Fahrräder stehen nicht irgendwo in der
Gegend rum - Ordnung muss sein!
E.
Elke Bock
2008-03-15 09:26:27 UTC
Permalink
Post by Elke Schwarz
"Christoph Maercker" schrieb
Post by Christoph Maercker
Post by Thoralf Winkler
- Mittelwerte der Reisezeiten (14'), Radfahrstrecken (2,74 km) und
Geschwindigkeiten (11,7 km/h)
Könnte mit den damaligen Rädern hinkommen.
ich glaube, wenn du alle Radfahrer heutigentags zusammen nimmst,
siehts genauso aus -
Ja, das dürfte auf die Tür-zu-Tür Reisezeiten aus SrV oder Vorläufern
davon zurückgehen.
Post by Elke Schwarz
was soll die Bauweise der Räder damit zu tun
haben? Rennräder gabs doch auch.
Insbesondere ist im innerstädtischen Verkehr die Höchstgeschwindigkeit
nicht so bedeutend, es gab weniger im Weg stehende Autos, weniger
Ampeln, und deutlich mehr Radverkehr außerorts (ganz ohne bremsende
Hindernisse auf der Landstraße) als heute.
Post by Elke Schwarz
Man konnte das Rad auch unangeschlossen stehen lassen, Fahrrad-
diebstahl war im Sozialismus nicht sehr verbreitet,
Wie bitte?
Post by Elke Schwarz
besonders in Gegenden, wo jeder jeden kannte.
Ok, auf'm Dorf mag das sein. Dürfte aber heute auch noch zutreffen.


mfg, elke
Manfred Albat
2008-03-15 16:21:46 UTC
Permalink
Post by Elke Bock
Post by Elke Schwarz
Man konnte das Rad auch unangeschlossen stehen lassen, Fahrrad-
diebstahl war im Sozialismus nicht sehr verbreitet,
Wie bitte?
Post by Elke Schwarz
besonders in Gegenden, wo jeder jeden kannte.
Ok, auf'm Dorf mag das sein. Dürfte aber heute auch noch zutreffen.
Wie jetzt?
Auf'm Dorf gibt es noch den Sozialismus und die DDR?
--
Manfred Albat
der computer rechnet, der mensch zählt!
Elke Bock
2008-03-15 19:36:33 UTC
Permalink
Post by Manfred Albat
Post by Elke Bock
Post by Elke Schwarz
Man konnte das Rad auch unangeschlossen stehen lassen, Fahrrad-
diebstahl war im Sozialismus nicht sehr verbreitet,
Wie bitte?
Post by Elke Schwarz
besonders in Gegenden, wo jeder jeden kannte.
Ok, auf'm Dorf mag das sein. Dürfte aber heute auch noch zutreffen.
Wie jetzt?
Auf'm Dorf gibt es noch den Sozialismus und die DDR?
Man hat keine Furcht vor Fahrraddiebstahl, und läßt daher das Fahrrad
auch mal stundenlang unabgeschlossen offen zugänglich herumstehen. ;-)


mfg, elke
Thoralf Winkler
2008-03-13 16:21:07 UTC
Permalink
Post by Christoph Maercker
Sind Halle und Magdeburg mit dabei?
Ja, jedenfalls in der Gesamtliste der Radweganteile
(Magdeburg 15,2% bzw. 0,49 m Radweg je Einwohner,
Halle 10% bzw. 0,3 m RW/EW, HaNeu 7% bzw. 0,15 m RW/EW),

Ähm, wo ist eigentlich _mein_ halber Meter Radweg? Sagt's mir und ich
stelle einen Blumenkübel drauf. :-)
Post by Christoph Maercker
Post by Thoralf Winkler
- es wird belegt, daß selbst in der DDR, angesichts des dort geringeren
Motorisierungsgrades, die Gruppe der Radfahrer nicht mit der Gruppe
ohne Kfz übereinstimmt.
Trivial. Einige gehen zu Fuß, andere fahren mit Öffis.
Ja, nur hätte man auch annehmen können, daß wer'n Auto hat, auch damit
fährt. Und umgekehrt. Vielleicht hatte ich's mißverständlich
wiedergegeben, gemeint war 'auch Autobeseitzer fahren mit dem Fahrrad'.
Post by Christoph Maercker
Damals wird es sich vor allem um Einbahnstraßen, Fußgängerzonen, nur für
Fußgänger erlaubte Hausdurchfahrten und Tunnel, gesperrte Straßen oder
Gartenanlagen etc. gehandelt haben. Geisterradeln war in der DDR
einklich nicht üblich. Diesbzgl. habe ich auch fleißig gesündigt. :-)
...und damit die Aussagen bestätigt.
Post by Christoph Maercker
Welche Verstöße wurden überhaupt genannt?
Die von Dir genannten sowie Gehwegfahren.
Post by Christoph Maercker
Post by Thoralf Winkler
- Reisezeitvergleiche inkl. der nötigen Fußwege im Vergleich der Nutzung
von Kfz, ÖPNV, Fahrrad
- Kostenvergleich
- Fahrradnutzung im Jahresverlauf,
- Fahrradnutzung in Abhängigkeit vom Wetter
etc. pp.
Diese Ergebnisse würden mich interessieren.
Dann müßte ich ja alles abschreiben. Lies besser selbst nach.
Post by Christoph Maercker
Da war die Auswahl nicht allzu groß. ;-)
Es sind auch Beispiele aus dem Ausland enthalten. :-)
Post by Christoph Maercker
Post by Thoralf Winkler
Übrigens befürwortet der Autor bereits damals Radfahrspuren.
Damals wären sie sogar ein Fortschritt gewesen, allein schon wegen des
Zustandes unerer sozialistischen "Radwege".
Der auch mal gut sein konnte. Vor allem neben gepflasterten Fahrbahnen.
Post by Christoph Maercker
Post by Thoralf Winkler
VP - Verkehrspolizei
... im weitestem Sinne. Lass das bloß nicht die Nostalgiker in
de.alt.folklore.ddr lesen! ;-)
Freudscher Vertipper. Die Übersetzung sollte eigentlich einfach nur
Polizei lauten. Sonst wörtlich: Volkspolizei. :-)

Schönen Gruß
Thoralf
Thomas Wedekind
2008-03-13 16:27:47 UTC
Permalink
Post by Christoph Maercker
Gab es in den 1980ern keinen weiteren Rückgang? Da habe ich anderes in
Erinnerung.
Hm. In der 2. Hälfte der 80er ("Wende" noch nicht absehbar) stieg
der Radverkehr in meinem Dunstkreis jedenfalls deutlich, vor allem
in der Freizeit. Die Modal-split-Tabelle für Jena spiegelt das
nicht wider, weil die Daten dafür nur werktags erhoben wurden.
(Mittlerweile ist das egal; es gibt jetzt wohl belastbare
Durchschnittswerte für die jahres- und wochenzeitlich bedingten
Abweichungen. Man kann aus einer Befragung an einem x-beliebigen
Tag des Jahres - wenn keine Sonderbedingungen mitspielen - die
Werte für beliebige andere Zeiträume errechnen.)
--
Viele Grüße, Thomas
Christoph Maercker
2008-03-14 12:34:45 UTC
Permalink
Hm. In der 2. Hälfte der 80er ("Wende" noch nicht absehbar) ...
... aber die Öko-Bewegung der DDR gab es schon.
stieg der Radverkehr in meinem Dunstkreis jedenfalls deutlich, vor allem in der
Freizeit.
Ich bin von Beobachtungen im Alltagsverkehr ausgegangen und dort hat in
den 1980ern der Autoverkehr stark zugenommen. In den 1970ern kannte ich
Staus nur aus den Westmedien. Gesehen habe ich 1977/78 nur auf einigen
Hauptstraßen in Leipzig welche, nicht nur während der Messewochen. In
den 1980ern gab es auf etlichen Autobahnen und in vielen Großstädten
schon regelmäßig Staus.
--
CU Christoph Maercker.

RADWEGE sind TODSICHER!
Jörg 'Yadgar' Bleimann
2008-03-14 15:35:27 UTC
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High!
Post by Thoralf Winkler
Ich schrieb ja schon, daß ich in Wolfgang Rauhs Artikel in der Velo
Ditmar Hunger: Bedingungen und Abhängigkeiten des städtischen
Fahrradverkehrs. Dissertation, Hochschule für Architektur u. Bauwesen,
Weimar, 1987.
124 S. Text + 68 S. Anlagen
Was mich als "Wessi" dabei interessiert: inwiefern beeinflussten
ideologische Vorgaben des Marxismus-Leninismus die
(Fahrrad-)Verkehrspolitik in der DDR? Flossen die Erfordernisse des
staatlichen Repressionsapparates in die Konzeption der Infrastruktur für
Radfahrer ein? Wurden gar beim MfS spezielle auf Radfahrer (immerhin
dürfte Fahrradfahren im bürgerrechtlich-ökologischen Protestmilieu der
80er Jahre signifikant verbreiteter gewesen sein als in der
"Normalgesellschaft"!) zugeschnittene Überwachungstechniken entwickelt?
Ich meine, einmal gelesen zu haben, dass 1987 oder 1988 anlässlich
befürchteter Radfahrer-Umweltdemos in einem Kreis im heutigen Land
Brandenburg sogar ein vollständiges Radfahrverbot erlassen wurde...

Bis bald auf www.khyberspace.de!

Yadgar
Christoph Maercker
2008-03-14 16:29:13 UTC
Permalink
Post by Jörg 'Yadgar' Bleimann
Was mich als "Wessi" dabei interessiert: inwiefern beeinflussten
ideologische Vorgaben des Marxismus-Leninismus die
(Fahrrad-)Verkehrspolitik in der DDR?
Die Parteifunktionäre waren genau solche Technokraten wie heute die
meisten Wirtschaftsbosse. Für die waren Autos viel interessantere
Spielzeuge als Fahrräder. Ideologisch könnte noch einiges hinzu kommen:

- Fahrräder waren militärisch ziemlich wertlos. Bei der
vormilitiärischen Ausbildung (GST) gab es zwar Flugzeuge, Autos und
Funkgeräte, aber keine Fahrräder.

- Zu Zeiten der Herren Marx & Engels hatte das Fahrrad noch keine
verkehrspolitische Bedeutung

- Lenin war Russe. Auf den dortigen "Straßen" dürfte Radfahren Anfang
des 20. Jh. so gut wie unmöglich gewesen sein.

Jedenfalls scheint sich keiner der drei "Klassiker" des
Marxismus-Leninismus jemals zum Thema Fahrrad geäußert zu haben, sonst
wäre das garantiert irgendwo nachzulesen gewesen.

Straßenbau und Stadtplanung orientierten sich genau wie im Westen primär
am Autoverkehr.
Post by Jörg 'Yadgar' Bleimann
Flossen die Erfordernisse des
staatlichen Repressionsapparates in die Konzeption der Infrastruktur für
Radfahrer ein? Wurden gar beim MfS spezielle auf Radfahrer (immerhin
dürfte Fahrradfahren im bürgerrechtlich-ökologischen Protestmilieu der
80er Jahre signifikant verbreiteter gewesen sein als in der
"Normalgesellschaft"!) zugeschnittene Überwachungstechniken entwickelt?
Das nicht gerade, aber bewusster Verzicht auf's Auto, vegetarisches
Essen, kurz, alles was unsere Öko-Bewegung den West-Grünen nachgemacht
hat, war den Herren vom MfS so suspekt, dass sie es in Form von dicken
Akten der Nachwelt erhalten haben. ;-)
Post by Jörg 'Yadgar' Bleimann
Ich meine, einmal gelesen zu haben, dass 1987 oder 1988 anlässlich
befürchteter Radfahrer-Umweltdemos in einem Kreis im heutigen Land
Brandenburg sogar ein vollständiges Radfahrverbot erlassen wurde...
Ist mir nicht bekannt. Aber die in der DDR entstandene Kampagne "Mobil
ohne Auto" wurde auf jeden Fall sehr aufmerksam beobachtet. Dabei hätte
sie dem Staat über manche Probleme hinweg helfen können.
--
CU Christoph Maercker.

Transport + Sport = Radfahren
Jörg 'Yadgar' Bleimann
2008-03-15 00:30:32 UTC
Permalink
High!
Post by Christoph Maercker
Das nicht gerade, aber bewusster Verzicht auf's Auto, vegetarisches
Essen, kurz, alles was unsere Öko-Bewegung den West-Grünen nachgemacht
hat, war den Herren vom MfS so suspekt, dass sie es in Form von dicken
Akten der Nachwelt erhalten haben. ;-)
...und vor allem diese langen Haare und duschmanenmäßigen (*)
Zottelbärte! Igitt! A-so-zial!!!!! ;-)

Bis bald auf www.khyberspace.de!

Yadgar

(*) "Duschmany" wurden im Jargon der Sowjetarmee die afghanischen
Widerstandskämpfer gegen das Besatzungsregime genannt
Thomas Wedekind
2008-03-14 18:49:21 UTC
Permalink
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Christoph Maercker
2008-03-17 11:49:18 UTC
Permalink
Post by Thomas Wedekind
(Überland)-Autobahn (Dresden - Leipzig, glaube ich) wurde gebaut
Genau die.
Post by Thomas Wedekind
(für den DDR-Binnenverkehr; die späteren Neubauten waren eher als
Transitwege gedacht); Autokult pur. Diese Politik wurde nach dem
Sturz von Walter Ulbricht als SED-Generalsekretär (1971) abrupt
beendet, weil nicht bezahlbar.
Wobei unter Ulbricht der Schwerpunkt beim Aufbau der Industrie lag.
Unter Honnecker wurde statt dessen auf Konsumgüterproduktion orientiert
und Investionen in die Produktionsmittel völlig vernachlässigt.
Entsprechend sahen 1989 unsere "volkeseigenen Betriebe" aus.
Post by Thomas Wedekind
sollte damals in der DDR die Fahrradproduktion "planmäßig"
eingestellt bzw. nur noch auf Rennräder (Zuteilung an
Leistungsssportler) beschränkt werden.
Das lese ich hier zum ersten Mal.
Post by Thomas Wedekind
es in den 70er Jahren in der 100.000- Einwohner-Stadt Jena genau
einen Radhändler gab, der pro Woche ca. 5 bis 8 Fahrräder
zugeteilt bekam und diese in der ersten halben Stunde nach
Anlieferung verkaufte.
Mir scheint, da war Jena ein Extremfall. In Halle (< 250.000 Ew.) gab es
zu DDR-Zeiten mind. drei private Fahrradläden in der Innenstadt dazu
mind. einen volkseigenen. Wobei die Privaten weniger ganze Räder
verkauft, sondern vor allem Ersatzzeile und Reparaturen angeboten haben.
Post by Thomas Wedekind
Wurde wohl erst um 1985 anders. Dunkelst
kann ich mich erinnern, dass eine Weile auch polnische Fahrräder
verkauft wurden.
Nie gesehen. Höchstens vietnamesische Reifen. Nannten wir nur
"Bananenschalen" und so waren sie auch.
Post by Thomas Wedekind
Nix MfS (jedenfalls kenne ich keine), aber die Polizei hatte
welche. Freiwillige Helfer der Polizei, die ständig im Stadtpark
spazierten und etwa dort Rad fahrende Leute anhielten und
verwarnten ...
Oh ja, diese Typen hatte ich gefressen.
Post by Thomas Wedekind
* Vorläufer: Anfang der 60er wollte die DDR die Überlegenheit gegenüber
dem Westen zeigen, indem man mehr Butter und Fleisch pro Kopf und Jahr
verbrauchte. Ob das so gut war...?
Beim Alkoholverbrauch hatten wir uns jedenfalls einen Spitzenplatz
erobert. Ist mir heute noch unklar, wie es die DDR geschafft hat, Polen
und die UdSSR ausgerechnet auf diesem Gebiet zu schlagen. Bei den Russen
könnte es an Gorbatschov gelegen haben, aber bei den Polen?
--
CU Christoph Maercker.

RADWEGE sind TODSICHER!
Elke Bock
2008-03-17 13:24:30 UTC
Permalink
Post by Christoph Maercker
Post by Thomas Wedekind
es in den 70er Jahren in der 100.000- Einwohner-Stadt Jena genau
einen Radhändler gab, der pro Woche ca. 5 bis 8 Fahrräder
zugeteilt bekam und diese in der ersten halben Stunde nach
Anlieferung verkaufte.
Mir scheint, da war Jena ein Extremfall. In Halle (< 250.000 Ew.) gab es
zu DDR-Zeiten mind. drei private Fahrradläden in der Innenstadt dazu
mind. einen volkseigenen. Wobei die Privaten weniger ganze Räder
verkauft, sondern vor allem Ersatzzeile und Reparaturen angeboten haben.
Ich kann mich auch nicht erinnern, von einem "Fahrradmangel"
mitbekommen zu haben. Es war sicher keine große Auswahl, insbesondere
nicht bei den Farben, aber "gar keine" traf höchstens für Rennräder
zu.
Post by Christoph Maercker
Nie gesehen. Höchstens vietnamesische Reifen.
Das tät ich auch bestätigen.
Michael Buege
2008-03-17 18:10:31 UTC
Permalink
Zitat Christoph Maercker:
[...]
Post by Christoph Maercker
Beim Alkoholverbrauch hatten wir uns jedenfalls einen Spitzenplatz
erobert. Ist mir heute noch unklar, wie es die DDR geschafft hat,
Polen und die UdSSR ausgerechnet auf diesem Gebiet zu schlagen. Bei
den Russen könnte es an Gorbatschov gelegen haben, aber bei den Polen?
Wahrscheinlich hat man den Verbrauch der GSSD nicht rausgerechnet.

Michael
--
openstreetmap.org
Thoralf Winkler
2008-03-15 22:44:07 UTC
Permalink
Post by Jörg 'Yadgar' Bleimann
Was mich als "Wessi" dabei interessiert: inwiefern beeinflussten
ideologische Vorgaben des Marxismus-Leninismus die
(Fahrrad-)Verkehrspolitik in der DDR? Flossen die Erfordernisse des
staatlichen Repressionsapparates in die Konzeption der Infrastruktur für
Radfahrer ein?
Puh, die Frage klingt ja schon so was von ideologisch :-)

Nei, die Frage nach der Rolle der Bedeutung der Breite der Basis für die
Höhe des Überbaus spielte sich auf anderen Ebenen ab.
Post by Jörg 'Yadgar' Bleimann
Wurden gar beim MfS spezielle auf Radfahrer (immerhin
dürfte Fahrradfahren im bürgerrechtlich-ökologischen Protestmilieu der
80er Jahre signifikant verbreiteter gewesen sein als in der
"Normalgesellschaft"!) zugeschnittene Überwachungstechniken entwickelt?
Was ich von der Opposition mitbekommen habe, hatte jedenfalls eher mit
subversiver Jugendkultur zu tun. Radfahren spielte dabei keine Rolle, es
sei denn, man brauchte ein Fahrrad, um zum nächsten Blueskonzert zu
kommen. Mit langen Haaren und Bart natürlich. In Latzhose und
Fleischerhemd.
Post by Jörg 'Yadgar' Bleimann
Ich meine, einmal gelesen zu haben, dass 1987 oder 1988 anlässlich
befürchteter Radfahrer-Umweltdemos in einem Kreis im heutigen Land
Brandenburg sogar ein vollständiges Radfahrverbot erlassen wurde...
Halte ich für ein Gerücht. Wir haben zwar viel mitgemacht, aber über so
was hätte man dann doch aus klar erkennbarer Albernheit nur gelacht und
wäre weitergefahren.

Schönen Gruß
Thoralf
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