Post by Martin GerdesPost by Markus LuftPost by Anton ErtlDie [meisten Radfahrer] sehen den Autoverkehr als zu Recht
bevorrechtigten Verkehr.
Und wie die Bauern im Mittelalter in den Strassengraben
springen mussten, wenn die Herrschaft angeritten kam, muessen
sich ihrer Meinung nach die Radfahrer moeglichst von der
Fahrbahn verpissen, wenn ein Auto angebraust kommt
Mit den Leibeigenen und den Bauern, hast Du sogar IMHO ein Beispiel
genannt, warum sich das nicht widersprechen muß.
Ich habe zuerst auch gedacht, daß das kein schlechtes Beispiel ist, beim
zweiten Hinsehen ist das aber eins.
Ich habe in Diskussionen nie erlebt, daß ein _Radfahrer_ mir gesagt hat,
er halte es für völlig in Ordnung, daß der Autoverkehr bevorrechtigt
werde. Das wird allenfalls zähneknirschend hingenommen, aber keinesfalls
begrüßt.
Normalerweise berichten Radfaher von der Furcht vor dem bösen
Brumm-Brumm und dem innigen Wunsch nach eigenen Wegen. Daß diese "völlig
zu Recht" eine miserable Oberfläche haben müßten (wohingegen die
"Straßen" schön glatt asphaltiert werden) hat auch noch kein Radfahrer
verlangt.
Ja eben.
Und wenn Radfahrer, wie die allermeisten auch, schön auf ihren
Wegelchen fahren, haben sie auch alle naselang gefährliche Konflikte
mit Autofahrern. Sie unterschätzen dabei aber die Gefahr durch andere
Radfahrer und Fußgänger, was eine Folge der Enge ist.
Die wissen schon wie der Hase läuft und damit sind sie auch nicht
einverstanden. Schizophrenerweise fordern sie aber noch mehr von
diesen Wegelchen. Sie machen halt das, was unsere Unfallforscher auch
machen, sie betreiben Symptombekämpfung und es werden hier und da die
negativen Folgen der Separation abgemildert. Man will eigentlich auch
weniger MIV und so verbinden die das mit Radwegen. Man kriegt dann
einen hybscheren Radweg und so nebenbei ist eine "Auto"spur mal
weggefallen. Die Spur fällt natürlich da weg, wo das eh nicht dem MIV
schadet. Auf die Idee, das man Autofahrern eine Spur temporär
wegnimmt, indem man sie mitbenutzt kommen die gar nicht erst.
Jedes mal, wenn ich auf das Rad steige, mache ich mein eigenes,
kleines Revolutiönchen, ich nehme mir das, was mir (eigentlich sogar
per Verordnung) zusteht. Und wenn das ausnahmsweise sogar mal erlaubt
ist, dann ist das nicht mal eine Mikrorevolution, sondern einfach nur
normales Radfahren, aber nicht einmal diese Freiheit wird von
Radfahrern ernsthaft genutzt.
Als Grund dafür, warum die ihre Rechte nicht einfordern, bzw. nicht
wahrnehmen, wird regelmäßig Angst genannt. Meine vermutung ist die,
daß dies aber nur ein vorgeschobener Grund ist und man so vermeiden
will die wahren Gründe zu erforschen, bzw. preiszugeben. Nennt man
Angst als Grund, gibt es keine weiteren Fragen. Ich könnte mir
vorstellen, daß viele gar nicht wissen, warum sie so gern azf Radwegen
fahre. Das ist eben etwas Emotionales.
Post by Martin GerdesPost by Markus LuftDie [Leibeigenen und Bauern] haben eben alle ziemlich lange gebraucht,
um zu kapieren, daß die vorgegebene Ordnung eben nicht unabänderlich,
gottgegeben ist.
Mit dem überbordenden MIV verhält es sich ähnlich, nur weil man nicht
revoltiert, bedeutet das nicht, daß man dem was Gutes abringen würde.
ACK.
Ich schätze, daß Anton das auch weiß.
Das ist eben die rhetorische Figur:
"Bist Du nicht dagegen, so bist Du dafür!"
Post by Martin GerdesPost by Markus LuftPost by Anton ErtlDa finden sie es natuerlich schoen, wenn sie ein Reservat fuer sich
haben, egal wie schlecht es ist.
Konfliktparteien trennen ist eben eine bequeme (Schein)lösung.
Als "Opfer" kann man sich in seinem Elend auch bequem einrichten.
Das finden die "Täter" dann auch prima und alles ist
Friede, Freude, Eierkuchen.
Die aktuelle Verkehrspolitik ist klassische Apartheid. Dem Radfahrer
werden Rechte vorenthalten, die der Autofahrer hat, er wird auf eine
strukturell und real schlechtere Infrastruktur gezwungen. Das war damals
in den US-Südstaaten genauso, das war in Südafrika genauso.
Wie? Gab's da etwa Radwege für Schwarze *und* Weiße getrennt? ;-)
Wenn ich mal ohne Polemik den Ist-Zustand im Land S-H und in der
Landeshauptstadt beschreiben soll, ist es eben so, daß die Politik
kein Konzept hat. Und meines Erachtens hat man durch eine seit
Jahrzehnten verfehlte Politik, welche auf das Auto als Verkehrsmittel
setzt, den Karren schon an die Wand gefahren. In Zeiten knapper Kassen
(Was eine politische Entscheidung war; "Schlanker Staat") ist auch die
Entscheidungfreiheit der Politik äußerst begrenzt. Das Auto fordert
prinzipbedingt den Löwenanteil der Ressourcen. Und selbst da bröckelt
es an allen Ecken und Enden. Da sind ja nicht nur die Radwege marode,
sondern auch die Brücken und auch Fahrbahnen nehmen "Radwegqualität"
an.
Da kommt man eben nur wieder raus, indem man an allen Ecken und Enden
das Steuer wieder herum reißt und massiv in den ÖPNV investiert. Das
bdeutet aber Schulden und die sind ja *bääh*, obwohl das eine
gigantische, wirtschaftsfördernde Investition in die Zukunft wäre.
Und die Schulden kann man sich auch sparen, wenn man das Konzept des
Sozialstaats wieder aufnimmt.
Post by Martin GerdesDiese Benachteiligung ist bei uns zwar legal (= es gibt ein Gesetz
dafür), aber halt nicht legitim (= moralisch gerechtfertigt).
Das ist noch nicht mal legal, sofern es um Fahrbahnverbote geht.
Unser Randverkehrsbeauftragter hat von sich aus schon zugegeben, daß
man 80% der Fahrbahnverbote schon aus eigener Sicht für rechtswidrig
hält.
Es ist aber nicht verboten Radfahrer sich aus freien Stücken gefährden
zu lassen.
Post by Martin GerdesStreng genommen ist diese Benachteiligung verfassungswidrig, wobei ich
als Person das nicht ausgeklagt haben muß. Auch die Gleichheit vor dem
Gesetz, die in unserer Verfassung steht, ist ja auslegbar. Damals hat
das BVerfG beispielsweise nicht erkennen können, daß 18 Monate
Zivildienst länger sind als 15 Monate Wehrdienst. Ich halte für durchaus
denkbar, daß es heute nicht erkennen kann, daß 80 cm holpriges Pflaster
mit Wurzelaufbrüchen ein schlechterer Weg ist als 6 m glatter Asphalt.
Ich bin der Meinung, daß auch Fahrbahnverbote, auch bei Vorliegen
einer qualifizierten Gefahrenlage, in aller Regel rechtswidrig sind.
Das hat aber mit Verfassungsrecht nichts zu tun.
Verfassungswidrig ist veilleicht die Verkehrtpolitik im Allgemeinen.
Dazu gibt es einen Text "Verfassungsfeind Auto" von Dr. Hans Wrobel,
der damals Leiter der Verfassungsabteilung beim Senator fuer Justiz
und Verfassung der Hansestadt Bremen war.
Das ist hier von Hans Crauel gepostet worden:
<***@vieta.math.uni-sb.de>
<https://groups.google.com/forum/#!original/de.soc.verkehr/mU4g3t1WSG0/oucvmsF0RacJ>
Post by Martin GerdesDaß ein _Radfahrer_ diese Benachteiligung aber sogar noch gerechtfertigt
hätte, habe ich noch nicht erlebt. _Autofahrer_ hingegen, die ihre
Bevorzugung für gottgegeben halten und für völlig recht und billig
darstellen, habe ich schon ziemlich viele erlebt. Man findet derlei
Stimmen auch in jeder Pressediskussion.
Reine Erziehungssache!