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Bericht Timmelsjoch (2.509 m) - Teil 1
(zu alt für eine Antwort)
Alexander Ausserstorfer
2017-09-18 16:02:19 UTC
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Montag, 11. September 2017
129,69 km, +1.084 hm
Mangfallknie - Bad Tölz - Lengries - Sylvensteinspeicher - Achensee -
Jenbach - Hall (i. Tirol)

Bei Lengries traf ich an einer Abzweigung auf einen Radfahrer, der nicht
recht wusste, welchen Weg er nehmen sollte. Die Anzeige auf dem
Navigationsgerät verstand weder er noch ich. Er schien mir ein Asiate zu
sein, sprach kaum Deutsch. Er kam aus München und war nach Innsbruck
unterwegs. Mein Blick fiel auf seine Vorderfelge, wo ich den Schriftzug
"Rennstahl" lesen konnte. Dann bemerkte ich am Rahmen das Wort
"Falkenjagd". Pinion mit Riemenantrieb. Edelux. Das Fahrrad sah völlig
neu aus. Hatte er sich für seine Fahrradreise nach Innsbruck gekauft.
Aber die Reifen Marke Schwalbe wären zu breit, meinte er.

In der Früh noch blauer Himmel, zog es im Laufe des Tages wieder zu.
Etwa 500 m vor dem Zeltplatz in Hall begann es zu regnen.

Ich erfuhr, dass der Dollar sowie der Taler in Hall erfunden worden
waren. Reisen bildet und ist einprägsamer als eine Schule. Zumindest bei
mir.

Neben mir waren noch 3 weitere Gruppen mit Rad und Zelt unterwegs, was
ich als ungewöhnlich empfand.

Eine der Gruppen war heute in Lengries gestartet. Sie wollte nach
Venedig radeln. Sie hatten eines dieser "Bikeline"-Bücher dabei. Morgen
wollten sie nach Sterzing. Das kam mir zu wenig vor. Denn wenn ich gegen
sechs Uhr aufbräche, wäre ich wohl bereits so gegen Mittag schon in
Sterzing. Und ab dem Brenner geht es ja bis Bozen (und weiter) fast nur
noch abwärts.

Dienstag, 12. September 2017
108,94 km, +988 hm
Hall (i. Tirol) - Innsbruck - Huben (Ötztal)

Am Morgen im leichten Regen aufgebrochen. Ab Innsbruck regnete es stark.
Ich zog die Gamaschen an und fuhr damit am Inn entlang weiter. Wie
langweilig der Innradweg hier war! Bei der Einmündung zum Ötztal hörte
der Regen allmählich wieder auf.

In Ötztal-Bahnhof noch kurz etwas Proviant für unterwegs besorgt.
Vor dem Betreten des Geschäftes hatte ich die Gamaschen ausgezogen. Aber
obwohl sie außen schon wieder ziemlich trocken waren, waren sie darunter
klatschnass. Ebenso Schuhe und Socken. Ich wartete noch einen erneuten
Regenguß ab, bevor ich weiterfuhr.

Etwas später radelte ich die Ötztaler Ache hoch. Es gibt einen eigenen
Rad- und Wanderweg, der jedoch nur aus groben Steinen und Schotter
besteht. Hier braucht man gute Reifen. Mit dem Big Ben zwar machbar,
aber nicht ideal, da zu glatt. Unterwegs regnete es immer wieder leicht.

Das Ötztal ist unglaublich schön. Links und rechts stürzen die
Wasserfälle in die Täler hinab, welche sich stufenartig hintereinander
aufstapeln. Man fährt von einem Tal in das nächste hoch. In jedem Tal
gibt es ein größeres Dorf mit eigener Schule. Wie abgeschottet mussten
die Menschen hier vor hunderten von Jahren gelebt haben?

In Huben auf einem Zeltplatz übernachtet. Nachts wurde es bereits
etwas frisch (+2° C). Natürlich barfuß herumgelaufen. Den
Zeltplatzinhaber hatte ich (wieder einmal) anrufen müssen. Mehr als eine
Telefonnummer gab es nicht. Der Inhaber kam etwas später. Die Menschen
hier im Tal scheinen einen eigenen Dialekt zu sprechen.

Der Zeltplatz hatte auch einen Trocknungsraum. Dort konnte ich das nasse
Gewand samt Schuhen und Socken nachts über einstellen und trocknen
lassen.

Glück gehabt.

Mittwoch, 13. September 2017
88,79 km, +1.613 hm
Huben, Sölden, Timmelsjoch, Meran

Der einzige Tag, wo es zur Ausnahme mal nicht regnete.

Auf dem Weg zum Timmelsjoch geht es 2x wieder länger bergab. Das erste
Mal gleich nach Sölden, wo ich mir bei einem Bäcker noch eine Brotzeit
kaufte, das zweite Mal nach der Mautstation (dort ca. -100 hm). Bei der
Mautstation hatte ich als Radfahrer wieder nichts zu bezahlen.

Im unteren Bereich der Straße, sehr bald nach Sölden, finden sich einige
Tunnel, die in Wirklichkeit jedoch ausschließlich Galerien sind. D. h.
dass eine Seite offen ist, wo Luft und Licht hereinkommen kann. Auf
meiner Karte konnte man das leider nicht erkennen.

Am Straßenrad sah ich immer wieder einige Dosen Red Bull liegen. Da war
mir meine Buttermilch lieber. Und ich schmiss die Flaschen auch nicht
weg.

Kurz vor der Mautstation hatten mich zwei Rennradfahrer überholt. Wir
sollten uns etwas später bei der Schmuggler-Gedenkstätte noch einmal
sehen - sowie einen Tag später.

Die Hauptstraße führt eigentlich nach Obergurgl und Hochgurgl. Auf der
Timmelsjochstraße waren nur noch wenige Autos, Motorräder, einige
Campingbusse und Radfahrer unterwegs. Keine Busse.

Die letzten +500 hm waren sehr anstrengend, zumal, an einem Bach
entlang, ein eiskalter, strenger Wind von oben herabbließ. Auf der
Straße liefen Schafe herum. Ein weiteres Schaf hatte hinter einem Felsen
Schutz gesucht. Dass die Straße hier endlos lange und bis kurz vor
dem Joch ohne Kehrtwende war, machte es auch nicht besser. Man hatte
nicht recht das Gefühl, vorwärts zu kommen.

Dann die Passhöhe: Links oben eine Gastwirtschaft, rechts oben ein
Museum. Darunter ein Parkplatz. Eine Gruppe Motorradfahrer, welche sich
mit Schneebällen bewarfen. Als mich einer aus der Gruppe sah, schüttelte
er den Kopf und sagte:

"Unglaublich diese Jungs, die hier mit dem Fahrrad hochfahren!"

Soviel Anerkennung. Soviel Lob. Man hätte mich ja auch auslachen können.
War ganz anders als die Großglockner-Hochalpenstraße letztes Jahr.

Diese Worte hatten mich so gefreut wie schon lange nichts mehr.

Besonders toll war ja auch meine viel zu große Regenhose. Ich hatte sie
letztes Jahr für ca. zehn Euro bei Hofer in Bruck gekauft, einen Tag
bevor ich die Großglockner-Hochalpenstraße hoch war. Weil meine alte
zerschlissen und undicht geworden war. Bis heute habe ich es nicht
geschafft, mir eine andere zuzulegen. Andererseits hat sich die
Hofer-Regenhose als gar nicht so schlecht erwiesen. Zumindest ist sie
bis heute dicht.

Ich stellte mein Fahrrad neben einer Gedenktafel ab. Auf dieser standen
die Worte (sinngemäß - kein Zitat, da aus dem Kopf):

Was Freundschaft verbindet,
das vermag Politik nicht zu trennen.

Dazu muss man wissen: Tirol war nach dem 1. Weltkrieg in drei Stücke
geteilt worden (Nord- und/oder Westtirol, Osttirol und Südtirol). Der
südliche Teil ging an Italien, wurde jedoch nie wirklich italienisch.
Die ursprünglich deutschsprachige Bevölkerung wurde zwar unterdrückt und
vertrieben, ließ es letzten Endes aber nicht zu. Heute ist Südtirol ein
Schmelztiegel zweier Kulturen. Der italienischen sowie der deutschen.

Die Timmelsjochstraße wurde gebaut, um beide Teile wieder ein Stückchen
mehr miteinander zu verbinden. Aus Freundschaft. Hier wie drüben leben
Menschen, die miteinander verwandt und befreundet sind.

Ich ging zum Museum hoch. In ihm wird der Bau der Himmelsjochstraße
näher erläutert. Im Schnee vor der Eingangstür hatte jemand die Wörter
"Sommer 2017" gezeichnet.

Als ich das Museum wieder verließ und zu meinem Simplon Kagu hinabstieg,
kam ein Mann ganz aufgeregt auf mich zu: "Bist du hier der Reiseradler?"

Wir kamen ins Gespräch, und er machte ein Foto von mir.

Die nächsten 60 km bis Meran würde es fast nur noch abwärts gehen. Über
2.000 hm. Das war ebenfalls ganz anders als auf der
Großglockner-Hochalpenstraße letztes Jahr. Für diese Strecke würde ich
knapp 3 h brauchen.

Ab der Abfahrt schien bis zum Abend die Sonne. Sie war warm und
wohltuend. Auch wehte kein spürbarer Wind mehr. Außer der Fahrtwind
natürlich.

Die Straße war hier schlechter und schmäler als auf der Nordseite. Im
oberen Bereich klebte sie dermaßen an den Felswänden, dass ich es nach
dem ersten Mal vermied, seitwärts abwärts zu blicken, weil es mir leicht
schwindlig geworden war. Statt dessen blickte ich jetzt nur noch
geradeaus und konzentrierte mich auf die Straße.

Der Belag war zum Teil schlecht, und ich froh über meine breiten Reifen.
Es gab viele, zum Teil auch längere, diesmal richtige Tunnel. Der
Scheinwerfer meines AXAs brachte hier nichts, wohl, weil meine Augen dem
Sonnenlicht angepasst waren. Aus diesem Grunde fuhr ich eigentlich blind
auf das Ende der Tunnel zu, weil ich den Boden nicht sehen konnte. Der
Boden war teilweise nass.

Während der Abfahrt überholten mich zwei Rennradfahrer. Ich war erstaunt
darüber, wie schnell diese die kurvenreiche Bergstraße hinabfuhren.

Gegen vier Uhr kam ich in Meran an. Den Zeltplatz fand ich bald, aber
ich wollte noch etwas einkaufen.

Die Passer-Promenade, Andenken an Sissi. Vieles erinnert hier noch an
die k. u. k. Zeit, der Zeit der Doppelmonarchie vor dem 1. Weltkrieg.

In der Altstadt traf ich unter der Menschenmenge den Herrn wieder, der
vor einigen Stunden oben auf dem Timmelsjoch das Foto von mir gemacht
hatte.

"Gut gemacht!"

Die Übernachtung auf dem abends lauten Zeltplatz war dann weniger toll.
Als ich die vielen Campingbusse sah und mein Blick aufs schwer bepackte
Fahrrad fiel, dachte ich mir: 'Nein, du hast doch nicht so viel dabei.'

Der Campingplatz war vollständig belegt, doch für mein kleines
Einmann-Zelt hatte man noch Platz genug. Auf dem Zeltplatz waren vier
oder fünf Zelte. Die meisten davon riesengroß.

Ich saß abends vor dem Zelt in der sommerlichen Wärme und schrieb meine
Notizen ins Tagebuch. Es würde der einzige Tag sein, wo das gehen würde.
--
http://home.chiemgau-net.de/ausserstorfer/
Dem Land Tirol die Treue.
Nico Hoffmann
2017-09-18 18:28:56 UTC
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Post by Alexander Ausserstorfer
Montag, 11. September 2017
129,69 km, +1.084 hm
Mangfallknie - Bad Tölz - Lengries - Sylvensteinspeicher - Achensee -
Jenbach - Hall (i. Tirol)
Dienstag, 12. September 2017
108,94 km, +988 hm
Hall (i. Tirol) - Innsbruck - Huben (Ötztal)
Mittwoch, 13. September 2017
88,79 km, +1.613 hm
Huben, Sölden, Timmelsjoch, Meran
Einen Alpenpaß würde ich auch gern mal probieren. Ist mir aber zu weit
weg, nur bis Lenggries bräuchte ich zweieinhalb Tage... Deshalb hat's
bisher nur für ein paar Mittelgebirge gereicht. Fichtelberg oder
Brocken, etc.

Was war der Zweck deiner Fahrt? Und wie geht es wieder retour?

N.
--
Was hätte Egon Olsen in dieser Situation getan?
Alexander Ausserstorfer
2017-09-19 08:46:05 UTC
Permalink
Post by Nico Hoffmann
Was war der Zweck deiner Fahrt? Und wie geht es wieder retour?
Steht u. a. im zweiten Teil, den ich gleichzeitig hiermit poste. Der
Rest folgt noch.

Ich hoffe, damit niemanden zu langweilen. Aber sowas lese ich hier
eigentlich seltener bis gar ned.

Peter Smolka ist das Timmelsjoch dieses Jahr jedenfalls nicht gefahren.
Er war zu früh dran.

Ich schon ;-)

Ciao,

A.
--
http://home.chiemgau-net.de/ausserstorfer/
Der Gedanke ist die Freiheit.
Bernhard Kraft
2017-09-19 12:25:43 UTC
Permalink
Post by Alexander Ausserstorfer
Ich hoffe, damit niemanden zu langweilen. Aber sowas lese ich hier
eigentlich seltener bis gar ned.
Nein, im Gegenteil. Es ist immer wieder erfreulich zu hören, dass man
auch längere Strecken mit dem Fahrrad unfallfrei überstehen kann.

Das Timmelsjoch ist eine Strecke, die ich mir mal vornehmen sollte. Vielleicht
mache ich mal den Ötztal-Marathon in zwei Tagesetappen.
Alexander Ausserstorfer
2017-09-19 17:11:31 UTC
Permalink
Post by Bernhard Kraft
Post by Alexander Ausserstorfer
Ich hoffe, damit niemanden zu langweilen. Aber sowas lese ich hier
eigentlich seltener bis gar ned.
Nein, im Gegenteil. Es ist immer wieder erfreulich zu hören, dass man
auch längere Strecken mit dem Fahrrad unfallfrei überstehen kann.
Und das sogar ohne Helm und Wa(h)rnweste. Aber dafür wurde ich unterwegs
auch geschimpft.
Post by Bernhard Kraft
Das Timmelsjoch ist eine Strecke, die ich mir mal vornehmen sollte.
Vielleicht mache ich mal den Ötztal-Marathon in zwei Tagesetappen.
Zeit sollte man sich schon lassen. Wäre schade drum.

Die restlichen Teile habe ich heute ebenfalls geschrieben und gepostet.
Sind allerdings auf Grund von Zeitdruck etwas "beta". Ich hoffe, man
nimmt es mir nicht allzu übel, wenn hier und da der eine oder andere
Fehler drin ist oder man etwas hätte besser schreiben / formulieren
können. Aber ich muss auch wieder was anderes tun und wollte das soweit
wie möglich erstmal abschließen. Bitte nehmt den Text daher nicht zu
wörtlich.

Ciao,

A.
--
http://home.chiemgau-net.de/ausserstorfer/
Großstadtindianer
Bodo G. Meier
2017-09-26 06:31:59 UTC
Permalink
Post by Alexander Ausserstorfer
Montag, 11. September 2017
129,69 km, +1.084 hm
Mangfallknie - Bad Tölz - Lengries - Sylvensteinspeicher - Achensee -
Jenbach - Hall (i. Tirol)
[...]
Danke für Deine Berichte!

Gruss,
Bodo

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